Leitfaden zur Kenntnis von Neuerungen (bidah)

Sep 19, 2023Artikel

Leitfaden zur Kenntnis von Neuerungen 

Wie bereits in vorherigen Artikeln erläutert, bezeichnet der Begriff “Bidʿah” sprachlich eine Neuerung, für die es keine vorangegangenen Beispiele gibt. Im religiösen Kontext taucht der Begriff in verschiedenen Überlieferungen auf. Ein bekannter Hadith von al-ʿIrbāḍ b. Sāriya zitiert den Propheten Muhammad ﷺ mit den Worten: “Hütet euch vor Neuerungen, denn jede Neuerung ist eine Bidʿah, und jede Bidʿah ist ein Irrtum.” Unter Berücksichtigung dieser und anderer Überlieferungen lassen sich für die Bidʿah in der Religion drei Hauptmerkmale feststellen:

  1. Sie stellt eine neuartige Praxis dar.
  2. Diese Neuerung wird als religiöse Handlung betrachtet.
  3. Sie basiert nicht auf einer religiösen Grundlage, weder im speziellen noch im allgemeinen Sinne.

Die folgenden Grundlagen zur Identifikation von Bidʿah (religiösen Neuerungen) im Islam basieren auf dem Buch von Prof. Dr. Muhammad al-Jizani: qawāʿid maʿrifat ul-bidʿah. Dieses Buch bietet eine umfassende Analyse des Konzepts der Bidʿah und seiner verschiedenen Aspekte. Es ist wichtig zu beachten, dass die hier dargestellten Punkte eine stark zusammengefasste Version der im Buch behandelten Themen sind. Das Buch selbst bietet eine tiefgreifende und detaillierte Untersuchung, die weit über diese Zusammenfassung hinausgeht.

Kriterien zur Identifizierung von Bidʿah:

  1. Anbetung auf Grundlage erfundener Überlieferungen: Jede Anbetungsform, die auf einer erfundenen Überlieferung über den Propheten Muhammad ﷺ basiert, gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Die besondere Bedeutung des Ragaib-Gebets und seine Ausführung.
  1. Anbetung auf Grundlage persönlicher Meinungen: Anbetungspraktiken, die lediglich auf persönlichen Ansichten, Vorlieben oder den Lehren bestimmter Gelehrter beruhen und nicht durch authentische Überlieferungen oder schriftliche Belege gestützt werden, sind als Bidʿah anzusehen.
    Beispiel: Neuartige Dhikr-Formen wie das Wiederholen von „hu-hu“ bei der Erinnerung an Allah.
  1. Vom Propheten ﷺ unterlassene Anbetung: Wenn der Prophet ﷺ eine bestimmte Anbetungsform nicht praktiziert hat, obwohl die Voraussetzungen dafür vorhanden waren und keine Hindernisse bestanden, dann wird diese Praxis als Bidʿah betrachtet.
    Beispiel: Die mündliche Formulierung der Absicht vor dem Gebet oder das Feiern des Mawlids.
  1. Anbetung ohne historische Präzedenzfälle: Jede Anbetungsform, die weder von den ersten Generationen der Muslime (den Gefährten, den at-tābiʿīn und deren Nachfolgern) praktiziert noch dokumentiert wurde, gilt als Bidʿah, sofern keine Hindernisse für ihre Ausübung bestehen.
    Beispiel: Das Ragaib-Gebet; das Feiern des Geburtstags des Propheten (Mawlid) oder anderer spezieller Tage und Nächte.
  1. Widerspruch zu den Grundlagen der Scharia: Jede Anbetungsform, die im Gegensatz zu den Grundprinzipien und Zielen der islamischen Rechtslehre (Scharia) steht, ist als Bidʿah einzustufen.
    Beispiel: Der Gebetsruf für die beiden Eid-Gebete, da der Gebetsruf ursprünglich nur für die Pflichtgebete vorgesehen war.
  1. Nicht vorgeschriebene Annäherung an Allah: Jede Handlung, die in der Absicht ausgeführt wird, sich Allah zu nähern, aber nicht den vorgeschriebenen Methoden der Scharia entspricht, gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Ständiges Schweigen als Form der Anbetung oder das ständige Vermeiden von Schatten.
  1. Verbotene Annäherung an Allah: Jede Handlung, die darauf abzielt, sich Allah zu nähern, aber von der Scharia als unzulässig eingestuft wird, ist als Bidʿah zu betrachten.
    Beispiel: Anbetung Allahs durch Tanz und Musik.
  1. Modifikation vorgeschriebener Anbetungsformen: Änderungen an den festgelegten Bedingungen einer in der Scharia vorgeschriebenen Anbetungsform gelten als Bidʿah.
    Beispiel: Itikaf an Orten außerhalb von Moscheen; Hinzufügen einer zusätzlichen Rakah im Maghrib-Gebet.
  1. Einschränkung allgemeingültiger Anbetungsformen: Wenn eine allgemeingültige Anbetungsform ohne Beleg zeitlich oder örtlich eingeschränkt wird, gilt dies als Bidʿah.
    Beispiel: Die Almosenverteilung nur an bestimmte namentlich benannte Personen beschränken.
  1. Übertreibung in der Anbetung: Übermäßige Ausführung einer vorgeschriebenen Anbetungsform gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Durchgehendes Beten die ganze Nacht; vollständige Enthaltsamkeit von der Ehe.
  1. Abweichende Glaubensansichten: Jeder Glaube, der im Widerspruch zu Koran, Sunna oder dem Konsens der ersten muslimischen Generationen steht, gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Ansichten von Sekten wie den Mutaziliten, Qadariten und Khawaridsch.
  1. Nicht überlieferte Glaubensansichten: Jeder Glaube, der weder im Koran noch in der Sunna verankert ist und auch nicht von den Gefährten oder at-tābiʿīn überliefert wurde, gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Jene Sufi-Praktiken, die keine Grundlage in Koran oder Sunna haben.
  1. Konflikte und Heuchelei: Streitigkeiten und Heuchelei in religiösen Angelegenheiten gelten als Bidʿah.
    Beispiel: Fragen nach mehrdeutigen Dingen, wie etwa nach der Art und Weise der Erhöhung Allahs.
  1. Aufzwingen von Gebräuchen: Das Erzwingen bestimmter Praktiken oder Gebräuche und deren Darstellung als unumstößliche religiöse Vorschriften gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Unwissende auf gleicher Position, wie die Wissenden zu setzen, und ihnen Positionen der Wissenden in einem Islamischen Staat zu geben.
  1. Veränderung von festgelegten Bedingungen: Abweichungen von festgelegten religiösen Bedingungen und Änderungen von gesetzlichen Grenzen gelten als Bidʿah.
    Beispiel: Umwandlung bestimmter Strafen in Geldstrafen.
  1. Nachahmung Anhänger von anderen Religionen: Die Nachahmung anderer Religionsangehörige in ihrer Religion oder ihren spezifischen Gebräuchen gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Teilnahme an nicht-islamischen Festen wie Weihnachten.
  1. Hinzufügungen Anhänger von anderen Religionen: Die Übernahme von Anbetungen oder Gebräuchen aus anderen Religionen, die nicht in ihrer ursprünglichen Religion vorkommen, gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Das Feiern von Silvester.
  1. Praktiken der vorislamischen Zeit: Das Ausüben von Praktiken der vorislamischen Zeit, die nicht von der Scharia vorgeschrieben sind, gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Feiern zur Geburt eines Sohnes.
  1. Irreführende Ausführung vorgeschriebener Taten: Die irreführende Ausführung einer vorgeschriebenen Tat gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Die Ausführung einer Sunna-Handlung, die wie eine Pflicht erscheint.
  1. Fehlinterpretation erlaubter Taten: Die fehlerhafte Ausführung einer erlaubten Tat, die den Eindruck erweckt, sie sei vorgeschrieben, gilt als Bidʿah.
    Beispiel: Übermäßige Verzierung von Moscheen und dies als eine Pflicht ansehen.
  1. Taten, die auf einer Neuerung basieren: Jede Tat, die auf einer Erneuerung basiert, ist selbst eine Neuerung und daher als Bidʿah einzustufen.
    Beispiel: Mahlzeiten, die bei Bidʿah-Veranstaltungen serviert werden.

 

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