Hadithkritik

Abstract

 

Dieser Beitrag ist eine Einführung in die Disziplin der Hadithkritik. So wird auf ihre Definition wie auch auf die Definitionen der mit ihr thematisch zusammenhängenden Fachbegriffe näher eingegangen. Zudem wird sowohl die Stellung der Hadithkritik innerhalb der Hadithwissenschaften aufgezeigt als auch ihre historische Entstehung und Entwicklung nachgezeichnet.

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Einführung in die Hadithkritik (Naqd al-ḥadīṯ)

Die Hadithkritik ist eine Wissenschaft, die sich mit den Grundlagen und Regeln für das Aufdecken von Schwächen in Hadithen befasst. Die sprachliche Bedeutung von naqd ist etwas hervorheben oder filtrieren, zwischen Gutem und Schlechtem unterscheiden wie zum Beispiel auch die Unterscheidung guter und schlechter Münzen. Der Formulierung nach gibt es hinsichtlich der fachspezifischen Bedeutung unterschiedliche Definitionen, die dem Bedeutungsgehalt nach jedoch alle der Definition „das kritische Überprüfen von Hadithen unter Beachtung bestimmter Regeln, die von den Hadithkritikern (nuqād, Sg. nāqid) aufgestellt wurden“ entsprechen. Der zeitgenössische Hadithgelehrte Al-Aʿẓami definiert naqd als „das Unterscheiden zwischen authentischen und nicht authentischen Hadithen und die Beurteilung der Überlieferer hinsichtlich ihrer Vertrauenswürdigkeit.“ Der Vorgang einer solchen wissenschaftlichen Kritik von Hadithen hat demnach die Bezeichnung naqd al-ḥadīṯ bekommen. Die durch die Hadithkritik aufgedeckte Schwäche wird als ʿillah (Pl. ʿilal) bezeichnet.

Definition von ʿIllah

Rein linguistisch werden mehrere Bedeutungen mit ʿillah in Verbindung gebracht, darunter sind: Hindernis, Krankheit oder Makel.[3] In den Hadithwissenschaften können zwei Bedeutungen von ʿillah auftreten:

1. Eine auf den ersten Blick erkennbare Schwäche in einem Hadith, die ihm die Authentizität oder seine normgebende Funktion abspricht. Im Sinne ihrer Verwendung für die Absprache der normgebenden Funktion verwendete at-Tirmiḏī (gest. 279/892) ʿillah für Abrogation (nasḫ), da diese Schwäche als ein Hindernis für die Verwendung des Hadithes als rechtlicher Nachweis angesehen wird, selbst wenn er an sich authentisch sein sollte. [4] Ein Beispiel für eine offensichtliche Schwäche wäre, wenn in der Tradentenkette ein bekannter aber unzuverlässiger Tradent vorzufinden ist.

2. Eine verdeckte Schwäche in der Tradentenkette (isnād) oder im überlieferten Text (matn), welche nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, und die die Authentizität des Hadithes trotz der scheinbaren Makellosigkeit abspricht.[5]

Die ʿillah der zweiten Kategorie ist (immer noch) Gegenstand intensiver Untersuchung, sodass sie auch in der hier vorliegenden Einführung näher betrachtet wird. Ibn Ḥaǧar (gest. 852/1449) definiert einen eine ʿillah aufweisenden Hadith als ein Hadith, „der von seiner äußeren Form authentisch und fehlerfrei erscheint, jedoch nach einer genaueren Untersuchung eine (verborgene) Schwäche aufweist.“[6] Ein Hadith mit einer verdeckten Schwäche wird ḥadīṯ muʿall oder ḥadīṯ maʿlūl[7] genannt.

Kategorien der ʿIllah

Hadith-Schwächen kommen wie schon erwähnt sowohl im isnād als auch im matn vor, während nach Ibn Ṣalāḥ (gest. 643/1245) der isnād öfter von solchen Schwächen betroffen ist. Eine Erklärung dafür ist, dass wenn den Überlieferern als Träger des matn während des Überlieferungsprozesses Fehler unterlaufen, sei dies in der Überlieferungskette, oder im Inhalt, oder in beiden, so sind diese immer auf einen Tradenten zurückzuführen. Eine ʿillah im isnād kann, wie es Ibn Ḥaǧar aufzeigt, die Authentizität des ganzen Hadiths negativ bewerten lassen oder nur den isnād wobei der matn trotzdem an sich unbeeinflusst wird, weil es über einen ʿillah-freien isnād gesichert ist. Ibn Ḥaǧar zählt folgende Fälle auf:

1. Eine ʿillah im isnād, welche weder den isnād noch den matn beeinträchtigt. Wenn ein vertrauenswürdiger mudallis[8] beispielsweise eine Überlieferungskette einmal in einer verschleierten Form wiedergibt (ʿanʿanah[9]), und ein anderes Mal in einer unverschleierten, dann wird die unverschleierte Überlieferungskette herangezogen, was letzten Endes keine negative Bewertung mit sich zieht.   

2. Eine ʿillah im isnād, welche nur den isnād hinsichtlich seiner Authentizität beeinträchtigt und auf den matn keinerlei negative Wirkung hat. Beispielsweise, wenn ein vertrauenswürdiger Tradent durch einen anderen vertrauenswürdigen Tradenten ausversehen ausgetauscht wird (bzw. ihre jeweiligen Vornamen – der vertrauenswürdige ʿAmr b. Dīnār zum Beispiel anstelle des vertrauenswürdigen ʿAbdullāh b. Dīnār), dann weist die Überlieferungskette einen beeinträchtigenden Fehler auf. Die Authentizität des matn wird durch diesen Fehler allerdings nicht berührt, beide Tradenten sind vertrauenswürdig.

3. Eine ʿillah im isnād, welche ihn und den matn negativ bewerten lässt. Dies, wenn, wie im vorherigen Fall, ein Tradent einen unzuverlässigen Tradenten mit einem zuverlässigen verwechselt. So hörte Ḥammād b. Usāmah zum Beispiel über einen zuverlässigen Tradenten namens ʿAbdurraḥmān b. Yazīd b. Ǧābir und wollte seine Hadithe in Kufa von ihm hören. Als er aber nach Kufa reiste traf er ihn nicht. Nach einer Zeit kam jemand mit einem ähnlichen Namen nach Kufa, den Ḥammād mit dem gesuchten Tradenten verwechselte. Ḥammād fragte ihn wer er sei, und er antwortete: ʿAbdurraḥmān b. Yazīd. Allerdings handelte es sich beim Letzteren um ʿAbdurraḥmān b. Yazīd b. Tamīm, ein schwacher Tradent, und nicht um ʿAbdurraḥmān b. Yazīd b. Ǧābir, den zuverlässigen. Seine überlieferten Hadithe wurden von al-Buḫārī, Abū Ḥātim und anderen deswegen als schwach eingestuft.

4. Eine ʿillah im matn, welche weder ihn noch den isnād beeinflusst. Beispiele sind hier die unterschiedlichen wörtlichen Variationen einer authentischen Überlieferung, die zunächst widersprüchlich erscheinen aber eine Harmonisierung möglich ist.

5. Eine ʿillah im matn, welche nur den isnād beeinträchtigt. Beispielsweise, wenn ein Tradent einen matn sinngemäß wiedergibt und dabei einen Verständnisfehler begeht. Der Tradent würde für diesen Fehler verantwortlich gemacht werden während der matn aber über einer anderen Überlieferungskette richtig tradiert wird.

6. Eine ʿillah im matn, die ihn und den isnād negativ beeinflussen. Beispielsweise, wenn ein matn sinngemäß falsch wiedergegeben wird, weshalb er und der isnād als schwach eingestuft werden.[10]

Stellenwert der Hadithkritik 

Aufgrund des immer größer werdenden zeitlichen Abstandes zu der Zeit des Propheten (s) und der damit einhergehenden Zunahme von Tradenten tauchten immer mehr unglaubwürdige Tradenten auf; theologische und politische Konflikte waren zu einer Zeit, in der ein Großteil der Prophetengefährten (die ersten Träger der Hadithe) schon verstorben waren, weitere Gründe, warum die Aufdeckung schwacher und erfundener Hadithe immer mehr an Relevanz gewann. Neben der nachhaltigen Bewahrung der tradierten Aussagen und Handlungen des Propheten (s) sollte also sichergestellt werden, dass die in Umlauf gekommenen schwachen Hadithe identifiziert werden konnten. Aus dieser Notwendigkeit heraus entstand die intensive Beschäftigung mit den Hadithen und die kritische Prüfung der Überlieferer und ihrer Aussagen. Das Erkennen der offensichtlichen Schwächen war weniger das Problem, als das der verdeckten Schwächen, die nicht jedem auffielen. So wurde das Aufdecken von ʿilal in Hadithen die eigentliche Hauptaufgabe der Hadithkritik.

Eine allgemeine Aufforderung, Mitteilungen (von Unbekannten) zu überprüfen, ist im Koran vorzufinden: „O die ihr glaubt, wenn ein Frevler zu euch mit einer Kunde kommt, dann schafft Klarheit.“[11] Für Muslime und Hadithgelehrte war das Hinterfragen von Berichten religiösen Inhaltes bedeutsamer als das von Mitteilungen über allgemeine Angelegenheiten. Es wird zudem von dem Gesandten (s) hinsichtlich der Gefahr, etwas Falsches über ihn zu überliefern, berichtet, dass er sagte: „Wer über mich absichtlich eine Lüge verbreitet, der soll einen Platz in der Hölle einnehmen[12] oder „Wer über mich etwas berichtet, was eine Lüge zu sein scheint, so zählt er zu den Lügnern.[13] Auch von Hadithgelehrten der ersten Generationen lassen sich mehrere Aussagen bezüglich der Bedeutung der Hadithkritik finden: ʿAbdurraḥmān b. Mahdī (gest. 198/813) sagte: „Es ist für mich lieber eine ʿillah in einer Überlieferung aufzudecken, als 20 andere neue Überlieferungen zu kennen.“[14] ʿAlī b. al-Madīnī (gest. 234/848) sagte: „Es ist vorgekommen, dass ich eine ʿillah in einem ḥadīṯ nach 40 Jahren aufgedeckt habe.“[15] Al-Ḫaṯīb al-Baġdādī (gest. 463/1070) sagte: „Das Wissen über ʿilal gehört zu den besten Disziplinen.“[16]

Experten der Hadithkritik

Wie in jeder Wissenschaft gibt es auch in den Hadithwissenschaften Personen, die durch ihre Expertise besonders herausragen. Abū Ḥātim (gest. 277/890) schrieb in diesem Zusammenhang: „Diejenigen, die kompetent waren, authentische von nichtauthentischen Hadithen zu unterscheiden und sie hinsichtlich ihrer Authentizität einzustufen, waren Aḥmad b. Ḥanbal (gest. 241/855), Yaḥyā b. Maʿīn (gest. 233/847), ʿAlī b. al-Madīnī (gest. 234/848). Ihnen folgte Abū Zurʿah (gest. 264/877) und neben ihm kenne ich in der heutigen Zeit keinen!“[17]

Ibn Raǧab al-Ḥanbalī (gest. 795/1392) sagte: „Von den großartigen Hadithgelehrten gab es sehr wenige, die in Hadithkritik spezialisiert waren. Der Erste, der in ihr bekannt wurde, ist Ibn Sīrīn (gest.110/728), ihm folgte Ayyūb as-Siḫtiyānī (gest. 131/748), von dem anschließend aš-Šuʿbah (gest. 160/776) und darauffolgend wiederum seine Schüler Yaḥyā al-Qaṭṭān (gest. 198/813) und Ibn Mahdī (gest. 198/913) lernten. Von diesen beiden lernten Imām Aḥmad (gest. 241/855), ʿAlī b. al-Madīnī (gest. 234/848) und Ibn Maʿīn (gest. 233/847). Auch sie hatten Schüler, an die sie ihr Wissen weitergaben, zu ihnen gehören al-Buḫārī (gest. 256/869), Abū Dāwūd (gest. 275/888), Abū Zurʿah (gest. 264/877), und Abū Ḥātim (gest. 277/890) […] Nach ihnen kamen an-Nasāʾī (gest. 303/915), al-ʿUqayli (gest. 322/933), Ibn ʿAdī (gest. 365/975) und ad-Daraquṯnī (gest. 385/995), wobei es nach ihnen jedoch kaum jemanden mehr gab, der dieser Disziplin mächtig war bis sogar Ibn al-Ǧawzī (gest. 597/1200) zu dem Schluss kam: ‚Es gebe kaum jemanden (in der heutigen Zeit), der diese Disziplin beherrsche bzw. es gebe keinen, und Allah weiß es am besten.‘.“[18] Hieraus kann entnommen werden, dass die Hadithkritik mit dem tābiʿī Ibn Sīrīn (gest. 110/728) bereits sehr früh anfing und von da an von Generation zu Generation weitervermittelt wurde. Darüber hinaus wird anhand dieser Aussagen ersichtlich, dass diese Disziplin zu den schwer beherrschbaren Wissenschaften gehört und dass sich nur wenige Hadithgelehrte in ihr spezialisierten.

Liste bekannter Hadithkritiker

Periode 1 100-200 AH / 720-820 CE

Erste Generation:

· Frühe Hadithritiker: [Ibn Sīrīn], al-Zuhrī, al-Aʿmaš

Zweite Generation:

· Primäre Hadithkritiker: Šuʿbah, al-Ṯawrī, al-Awzāʿī, Mālik, Ibn ʿUyayna

· Sekundäre Hadithkritiker: Ibn Ǧurayǧ, Ḥammād b. Salama, al-Layṯ b. Saʿd, Ḥammād b. Zayd, Hušaym b. Bašīr

Dritte Generation:

· Primäre Hadithkritiker: Ibn al-Mubārak, Wakiʿ b. al-Ǧarrāḥ, Yaḥya al-Qaṭṭān, ʿAbd al-Raḥmān b. Mahdī

· Sekundäre Hadithkritiker: al-Šāfʿī, Abū Mušir ʿAbd al-Aʿlā b. Mušir

Periode 2 200-300 AH / 820-910 CE

Vierte Generation:

· Primäre Hadithkritiker: Ibn Maʿīn, ʿAlī b. al-Madīnī, Aḥmad b. Ḥanbal

· Sekundäre Hadithkritiker: Ibn Numayr, Abū Ḫayṯama, Ibn Abī Šayba, Ibn Rāhawayh, Abī Ḥafs al-Fallās

Fünfte Generation:

· Primäre Hadithkritiker: al-Buḫārī, Abū Zurʿah al-Rāzī, Abū Hātim al-Rāzī

· Sekundäre Hadithkritiker: al-Ǧūzaǧānī, Muslim b. al-Ḥaǧǧāǧ, al-Nasāʾī * (Anmerkung: Fragwürdig ist das Zuordnen der letzten beiden zu den sekundären Hadithkritikern)

Periode 3 300-400 AH / 910-1010 CE

Sechste Generation:

· Primäre Hadithkritiker: Ibn Abī Ḥātim al-Rāzī, Ibn ʿAdī

· Sekundäre Hadithkritiker: al-ʿUqaylī, Ibn Ḥibbān

Siebte Generation:

· Primäre Hadithkritiker: Abū al-Fatḥ al-Azdī, al-Dāraquṭnī, al-Ḥākim Al-Naysābūrī

Siehe Brown: Hadith, S. 78; Lucas: Constructive Critics, S. 125

Voraussetzung eines Hadithkritik-Experten

In der Hadithliteratur sind viele Aussagen über die Eigenschaften eines Hadithkritik-Experten zu finden. Ibn Ḥaǧar schrieb zum Beispiel: „Die [Beschäftigung mit] dem muʿallalḥadīṯ gehört zu den im Verborgenen liegendsten und präzisesten Disziplinen. Um diese beherrschen zu können, benötigt man ein durchstechendes Verständnis, ein starkes Gedächtnis und umfassendes Wissen über die einzelnen Stufen der Tradenten. Darüber hinaus wird ein tiefgründiges Wissen über die verschiedenen Überlieferungen und Tradentenketten erfordert, weshalb die wenigsten diese Wissenschaftsdisziplin beherrschten…“[19] Der zeitgenössische jemenitische Hadithgelehrte Al-Muʿallimī (gest. 1949) erläuterte dies: „Diese Fertigkeiten haben die Gelehrten nach einer sehr langen Reise der Wissenssuche, der Hadithsitzungen, der Niederschriften, des Zusammentragens der Überlieferungen von einem Lehrer, des Auswendiglernens der Namen, Beinamen, Stämme, Länder, Geburts- und Sterbedaten der Tradenten [erworben]. Auch die genauen Daten, wann sie mit dem Erlangen von Wissen und der Teilnahme an Hadithsitzungen, ihre Reisen in den verschiedenen Ländern für die Wissenssuche, von wem und wo sie Wissen erlangten, wann sie genau hörten und wie sie dies taten, wer mit ihnen war, auf welches Manuskript sie sich beriefen; all diese Aspekte wurden bis ins kleinste Detail erfasst. Darüber hinaus nahmen sie die gleichen Informationen über die Lehrer der Tradenten auf […]. Sie waren über all dies informiert und hinzu kam ihr breit angelegtes Wissen über die verschiedenen Überlieferungen und die detaillierten Informationen über die Tradenten unzähliger Tradentenketten, seien es zuverlässige oder unzuverlässige, oder seien es die Absichten der nicht vertrauenswürdigen Tradenten, oder wer durch Erdichten und durch Schwächen bekannt war…“[20]

Anfänge der Hadithkritik

Auch wenn berichtet wird, dass die Prophetengefährten sich nicht gegenseitig anzweifelten und sie ihre gegenseitigen Mitteilungen über den Propheten (s) in der Regel ohne weitere Überprüfung annahmen[21], so kam es dennoch zu einzelnen Ereignissen, die als Ausnahmen von dieser Regel anzuführen sind und von den Hadithgelehrten auch dementsprechend berücksichtigt wurden. So sei beispielsweise auf die Situation verwiesen, als eine ältere Dame vom Kalifen Abu-Bakr ihre Erbanteile von ihrem Enkel verlangte. Er gab ihr sie zunächst nicht, bis er jemanden über dieses Anliegen fragte, da er weder aus dem Koran noch aus der Sunna des Propheten (s) einen Beweis kannte, der der Großmutter einen Anteil zuschreibt. So meldete sich der Prophetengefährte al-Muġīrah b. Šuʿbah und sagte: „ich war dabei, als der Prophet der Großmutter ein Sechstel gab“. Daraufhin fragte Abu-Bakr, ob es weitere Zeugen gab, die dies bestätigen konnten. Muḥammad b. Maslamah meldete sich und bestätigte dieses Ereignis[22]. Dies war eines der Vorkommnisse, in denen ein Gefährte den Bericht eines anderen Gefährten bestätigte. Eine weitere Methode zur Überprüfung von Gefährten stellte das Reisen untereinander dar. Dies, um bestimmte Aussagen oder Berichte über den Propheten (s) zu hören oder zu bestätigen. Abū Ayyūb al-Anṣārī unternahm beispielsweise eine Reise nach Ägypten, um ʿUqbah b. ʿĀmir zu treffen und von ihm einen Wortlaut zu hören, den er bereits kannte, aber nochmals von einem anderen Gefährten zu hören bekommen wollte.[23] Auch Ǧābir b. ʿAbdullāh unternahm eine einmonatige Reise, um einen Hadith von ʿAbdullāh b. Unays zu hören[24].

Als die Ära des dritten Kalifen Uṯmān im 1./7. Jahrhundert ihr Ende nahm, bemerkte man erstmalig das Aufkommen erfundener Berichte. Dies führte dazu, dass die Gefährten bei der jeweiligen Überprüfung von Berichten kritischer wurden. Ein diesbezüglich bekanntes Ereignis ist als Bušayr b. Kaʿb eines Tages in Anwesenheit von Ibn ʿAbbās über den Propheten begann zu überliefern: „Der Gesandte Allāhs (s) sprach … und der Gesandte Allāhs (s) sprach …“. Ibn ʿAbbās jedoch schenkte seinen aḥādīṯ weder Gehör noch schaute er ihn an. Da rief er: „O Ibn ʿAbbās, warum hörst du dir meine aḥādīṯ nicht an? Ich überliefere über den Gesandten Allāhs (s) und du hörst nicht zu?!“ Ibn ʿAbbās entgegnete: „Wenn wir jemanden ‚der Gesandte Allāhs (s) sprach‘ sagen hörten, pflegten wir unverzüglich unsere Blicke auf ihn zu richten und wir hörten genau hin. Doch seitdem die Menschen begannen, jeden Weg einzuschlagen, – sowohl im Schlechten als auch im Guten – akzeptierten wir von ihnen nur noch das, was wir (schon) kennen.“[25] Bušayr b. Kaʿb lebte zur Zeit des Propheten (s), traf ihn aber nicht persönlich und galt deshalb als ein tabiʿī (Nachfolger der Prophetengefährten), sodass seine Überlieferungen ohne vollständige auf den Propheten (s) zurückgehende Tradentenkette als mursal (unterbrochen) eingestuft werden müssen.[26]

Mit der Ausweitung des Herrschaftsgebietes des Islams und der räumlichen Zerstreuung der Träger der Hinterlassenschaft des Propheten (s) verbreiteten sich Überlieferungen in den verschiedensten islamischen Regionen. Mit fortschreitender Zeit entstanden mit jeder neuen Generation längere Tradentenketten und somit eine erhöhte potenzielle Fehleranfälligkeit. Hinzu kamen theologische und politische Konflikte, die Grund dazu baten, Hadithe zu erfinden. All diese Aspekte trugen dazu bei, dass einerseits Hadithe erfunden, andererseits bewusst oder unbewusst auch Fehler in zuvor authentische Hadithe eingebaut wurden. In den meisten Fällen waren unzuverlässige und nicht vertrauenswürdige Tradenten dafür verantwortlich, wobei auch zuverlässigen Tradenten Fehler unterliefen.

Methoden für das Aufdecken von ʿIlal

Die Tatsache, dass Schwächen und Fehler in Überlieferungen auftauchten und sich verbreiteten, brachte die Hadithgelehrten dazu, diesem Problem entgegenzuwirken. Viele dieser Schwächen erkannten sie unmittelbar: Um aber die verdeckten Schwächen ʿilal aufzudecken, wurde es für die Hadithgelehrten unabdingbar sowohl Überlieferungen als auch Tradenten einer möglichst allumfassenden Überprüfung zu unterziehen. In der Folge wurden die Tradenten in Hinblick auf ihre Vertrauenswürdigkeit (ʿadālah) und Zuverlässigkeit beim genauen Tradieren (ḍabt) mit verschiedenen Methoden geprüft. Zudem kontrollierten die Hadithexperten, ob jeder Tradent auch tatsächlich seine Quelle bzw. den Tradenten, von dem er angibt, die Überlieferung gehört zu haben, getroffen und tatsächlich auch gehört hatte, oder ob überhaupt die räumliche und zeitliche Möglichkeit dazu bestanden hatte.

Nachdem die Prüfung der einzelnen Tradenten durchgeführt und sichergestellt wurde, dass sie vertrauenswürdig waren, wurden die verschiedenen Tradentenketten eines Hadithes samt seines Wortlautes miteinander verglichen. Waren sie identisch oder konnten keine großen Unterschiede festgestellt werden, sahen die Hadithexperten dies als einen klaren Hinweis dafür, dass sie keine ʿillah besaßen. Gab es allerdings Unterschiede oder fielen Ungleichmäßigkeiten auf, zweifelten sie sie an und präzisierten ihre Untersuchung, indem sie versuchten, denjenigen Tradenten ausfindig zu machen, der für die ʿillah im Hadith oder in der Tradentenkette verantwortlich gemacht werden konnte.[27]

Suʾālāt-Werke

So wie der Zustand der Tradenten wurden auch die Inhalte der Überlieferungen (mutūn) überprüft und miteinander verglichen. Inhaltliche Ähnlichkeiten stärkten die Glaubwürdigkeit der Tradenten, Abweichungen dagegen erweckten Zweifel. Bei der Überprüfung und Aufdeckung solcher Abweichungen wandten die Hadithgelehrten unterschiedliche Methoden an. Zum Beispiel versammelten sie sich und diskutierten über Überlieferungen von bestimmten Tradenten sowie im Allgemeinen über Überlieferungen, die sie miteinander verglichen. Dies geschah auch oft, indem Schüler ihre Lehrer nach ihren Meinungen über verschiedene Überlieferungen fragten und ihre Antworten schriftlich festhielten. ʿAbdullāh b. Aḥmad (gest. 290/902) fragte seinen Vater Aḥmad b. Ḥanbal (gest. 241/855) über den Zustand vieler Überlieferungen und Tradenten und vermittelte dies u.a. in dem jetzt erhältlichen dreibändigen Werk al-ʿIlal wa maʿrifat ar-riǧāl (Verdeckte Schwächen und die Kenntnis über die Tradenten) weiter. Auch andere Schüler von Aḥmad b. Ḥanbal (gest. 241/855) erkundigten sich bei ihm und vermittelten seine Antworten weiter, wie z.B. Abū Dawūd (gest. 275/888). At-Tirmiḏī (gest. 279/892) hielt viele seiner Fragen an seinen Meister al-Buḫārī (gest. 256/869) und dessen Antworten über den Zustand von Überlieferungen und Tradenten fest und schrieb die Antworten in der Regel in seiner bekannten Hadithsammlung Sunan at-Tirmiḏī nieder. Bekannt ist auch die angewandte Hadithkritik von Abū Ḥātim (gest. 277/890) und Abū Zurʿah (gest. 264/877) zu über ca. dreitausend Berichten, die der Sohn von Ersterem Ibn Abū Hātim (gest. 327/938) in dem unter den Hadithgelehrten hochgeschätzten siebenbändigen Werk ʿIlal al-Ḥadīṯ (Schwächen der Hadithe) dokumentierte.

ʿIlal-Werke

Eine weitere verbreitete Methode der Hadithkritik war das eigenständige Verfassen von Werken, bei dem Überlieferungen untersucht bzw. ihre Schwächen und Fehler aufgelistet wurden. Dazu gehören unter anderem Bücher wie al-ʿIlal von ʿAlī b. al-Madīnī (gest. 234/848), Kitāb at-Tamyīz von Imām Muslim (gest. 261/874), ʿIlal al-Kabīr wa aṣ-Ṣaġīr von at-Tirmiḏī (gest. 279/892) oder al-ʿIlal von ad-Dāraquṯnī (gest. 385/995).

Ṣaḥīḥ-Werke

Viele Hadithsammlungen entstanden erst nach einer umfassenden Hadithkritik. Hadithe wurden von Vorreitern dieser Wissenschaft gesammelt, aus hunderttausenden Überlieferungen ausgewählt und themenweise strukturiert. Demzufolge entstanden unterschiedliche Gattungen von Hadithsammlungen. Zum Beispiel wurden die ṣaḥīḥ-Werke entsprechend der höchsten Kriterien eines authentischen Hadithes zusammengestellt. Die Bedingung, keine schwachen Hadithe in ihren Sammlungen aufzuführen, sondern vielmehr den höchsten Anforderungen eines authentischen Hadiths gerecht zu werden, brachte Imām al-Buḫārī (gest. 256/869) dazu, sein bekanntes Werk ‚Sahih al-Buḫārī[28] zusammenzustellen. Aus 600.000 Überlieferungen wählte er ca. 7.000 (inkl. Wiederholungen) Hadithe aus, die er dann in seinem Werk überlieferte.[29] Es wird überliefert, dass al-Buḫārī 16 Jahre lang mit dem Verfassen seines Werkes verbrachte[30]. Einen ähnlichen Weg ging der Schüler von al-Buḫārī Muslim b. al-Ḥaǧǧāǧ (gest. 261/875) in seinem ṣaḥīḥ-Werk ‚al-Musnad aṣ-ṣaḥīḥ‘. Es wird von ihm überliefert, dass er die Überlieferungen in seinem Werk aus 300.000 Überlieferungen[31] nach einer umfassenden Hadithkritik auswählte, um damit seine Kriterien für authentische Hadithe zu erfüllen. Auch bei ihm dauerte der Prozess der Zusammenstellung, Auswahl und der Kritik 15 Jahre an.[32].

Al-Buḫārī und Muslim waren folglich die ersten, die Hadithsammlungen mit der Voraussetzung anfertigten, nur Hadithe aufzuführen, die die höchsten Anforderungen der Authentizität erfüllten. Ihre Sammlungen lösten die erste Welle dessen aus, was mit „Die Ṣaḥīḥ-Strömung“ betitelt wird. Bekannt als ṣaḥīḥayn ‚die beiden Saḥīḥs‘ wurden die Sammlungen von al-Buḫārī und Muslim die berühmtesten authentischen Hadithsammlungen im Islam und gelten bis heute als die authentischsten Werke. Sie wurden zwar von einigen Hadithexperten, wie beispielsweise ad-Dāraquṯnī (gest. 385/995), an einigen Stellen kritisiert, der aber wiederum auf Gegenkritik von anderen Hadithgelehrten stieß.[33]

Sunan-Werke

Eine ähnliche Intention lag der Entstehung der sogenannten sunan-Werke zugrunde, welche ebenfalls sowohl nach bestimmten Auswahlkriterien als auch nach Hadithkritik zusammengestellt wurden. Die sunan-Werke gehen zwar nicht auf die Bedingung zurück, lediglich authentische Hadithe aufzuführen, nichtdestotrotz wurden die in diese Sammlungen aufgenommenen Hadithe ebenfalls einer Kritik unterzogen. Abū Dāwūd (gest. 275/888) stufte einen Teil der in seiner Hadithsammlung enthaltenen Hadithe ein (den anderen Teil listete er lediglich auf). In seinem kurzen Schreiben Risālat Abū Dāwūd ilā ahli Makka (Brief an die Bewohner Mekkas) erläuterte er u.a., warum er über die nicht eingestuften Hadithe schwieg. Falls er sehr schwache Hadithe in seiner Sammlung aufführte, so verdeutliche er dies. Darunter gab es auch Hadithe, die als schwach einzustufen waren. Wenn er über einem Hadith nichts erwähnte, so ist er ein gesunder und akzeptabler Hadith (ṣāliḥ) und diese variieren hinsichtlich ihrer Stärke.[34]

Ein weiteres sunan-Werk mit dem Titel „al-Ǧāmiʿ“ von al-Tirmiḏī (279/892) – einer der Gefährten und Schüler von al-Buḫārī – beinhaltet ungefähr 4.000 Hadithe und konzentriert sich auf Überlieferungen, die verschiedene fiqh-Schulen als rechtliche Nachweise heranzogen. Obwohl seine Hadithsammlung, die auch Debatten über die Authentizität dokumentiert, mehrere unzuverlässige Hadithe beinhaltet, stufte er diese hinsichtlich ihrer Authentizität ein und zitierte dabei oft seinen Meister Imam al-Buḫārī.

Ähnlich verhält es sich bei den restlichen Hadithsammlungen dieser Gattung, über die demnächst detaillierte Ausführungen veröffentlicht werden. Somit ist ersichtlich, dass auch sunan-Werke der Hadithkritik unterzogen wurden. Das Ziel dieser Gattung sollte sein, lediglich Hadithe aufzulisten, aus denen islamische Urteile und Normen abgeleitet werden konnten.

Induktion der Hadithkritik-Regeln

Als mit dem Ende des 4./10. Jahrhunderts die meisten Hadithsammlungen entstanden, analysierten die Hadithgelehrten diese, um aus ihnen Regeln und Grundlagen für die Hadithkritik herauszuarbeiten und sie dann in den sogenannten ʿillal-Werke oder in den hadithwissenschaftlichen muṣtalaḥ-Büchern niederzuschreiben. Die wichtigsten und bekanntesten verfassten muṣtalaḥ-Bücher und Werke werden in der Einführung chronologisch erwähnt.

 

[1] Ibn Fāris: Muǧam Maqāyīs al-luġah, Bd. 5, S. 467.

[2] Muslim: Muqaddima at-Taḥqīq, S. 8. Siehe auch: Aḥmad Yūsuf: Tārīḫ Ibn Maʿīn, Bd. 1, S. 6, Al-ʿĀbid: Muqaddima fi naqd al-ḥadīṯ, S. 10.

[3] Ibn Fāris: Muǧam Maqāyīs al-luġah, Bd. 4, S. 12-14,

[4] Ibn aṣ-Ṣalāḥ: Ulūm al-ḥadīṯ, S. 84.

[5] Ibid, S. 81.

[6] Ibn Ḥaǧar: an-Nukat, Bd. 2, S. 186; Fatḥ al-Bāqī, Bd. 1, S. 226. Ibn aṣ-Ṣalāḥ: ʿUlūm al-ḥadīṯ, S. 81.

[7] Ibn Manżūr: Lisān al-ʿArab, Bd. 11, S. 471. Auch wenn beide Ausdrucksformen verwendet werden, gibt es Meinungsunterschiede unter den Gelehrten, ob ‚maʿlul‘ von der Syntax her richtig ist. Ibn aṣ-Ṣalāḥ ist der Meinung, es sei falsch und sogar verwerflich (marʿḏūl), ʿUlūm al-ḥadīṯ S. 81. Die gleiche Meinung vertritt auch an-Nawawī, vgl. at-Taqrīb S. 161. Nichtdestotrotz finden beide Begriffe für die gleiche Bedeutung Anwendung.

[8] Mudallis: mudallis ist jemand, der einen Namen eines schwachen Tradenten mit einem vertrauenswürdigen ersetzt oder den Namen eines schwachen Tradenten so wiedergibt, dass nicht direkt ersichtlich ist, dass es sich um diesen schwachen Tradenten handelt.

[9] ʿAnʿanah: Ist eine Form der Übertragungswiedergabe, welche so viel wie mit ‚überliefert von‘ übersetzt werden kann. Hierbei ist nicht immer klar, dass der Tradent tatsächlich von dem Tradenten gehört hat oder nicht.

[10] Vgl. Ibn Ḥaǧar: an-Nukat, Bd. 2, S. 746-748.

[11] Sure Al-Ḥuǧurāt, 49:6.

[12] Überliefert von al-Buḫārī Nr. 1291 und Muslim in der muqaddima S. 10.

[13] Muslim: Muqaddima, S. 8.

[14] Ibn Abū Ḥātim: Muqaddima ʿilal al-ḥadīṯ, Bd. 1, S. 10.

[15] Al-Ḫaṯīb al-Baġdādī: al-Ǧāmiʿ li aḫlāq ar-Rāwī, Bd. 2, S. 257.

[16] Ibid. Bd. 2, S. 294.

[17] Ibn Abū Ḥātim: al-Ǧarḥ wa at-taʿdīl, Bd. 2, S. 23.

[18] Ibn Raǧab: Ǧāmiʿ al-ʿulūm wa al-ḥikam, S. 241-242.

[19] Ibn Ḥaǧar: Nuzhat an-Nażar, S. 43.

[20] Muslim: Muqaddimah Ṣaḥīḥ Muslim Bd. 1, S. 13, Al-Muʿallimī: an-Nukat al-Ǧiyād, Bd. 1, S. 10.

[21] Vgl. aṭ-Ṭabarānī: al-Muʿǧam al-Kabīr, Nr. 699, al-Ḥākim: al-Mustadrak, Nr. 6458.

[22] Imām Malik: al-Muwaṭṭa, Bd. 2, S. 531.

[23] Al-Ḥumaydī: al-Musnad, Bd. 1, S. 189.

[24] Imām Aḥmad: al-Musnad, Bd. 3, S. 495.

[25] Muslim: Muqaddimah, Bd.  1, S. 12-13.

[26] Al-ʿAlāʾī: Ǧamiʿ at-Taḥṣīl, S. 68 u. 83.

[27] Vgl.  Ibn Ḥaǧar: an-Nukat, Bd. 2, S. 186 f.

[28] Seine Sammlung ist unter diesen Namen bekannt, wohingegen der Titel “al-ǧāmiʿ al-musnad al-ṣaḥīḥ al-muḫtaṣar min ʾumūrī rasūlilāhī wa ayyāmihi“ lautet, siehe: Ibn aṣ-Ṣalāḥ: ʿUlūm al-ḥadīṯ, S. 26.

[29] Siehe Ibn Manżūr: Muḫtaṣar Tārīḫ Dimašq.

[30] Siehe: Al-Ḫaṯīb: Tārīḫ Baġdād, Bd. 2, S. 14.

[31] Ibid, Bd. 15, S. 121.

[32] Aḏ-Ḏahabī: Siyar Aʿlām an-Nubalāʾ, Bd. 12, S. 566.

[33] Darauf wird später detaillierter eingegangen werden.

[34] Abū Dāwūd: Risālat Abū Dāwūd ilā ahli Makkah, S. 27.

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