Abū Rāfiʿ berichtet, dass er den Propheten (ṣ) gesehen hat, wie er den Gebetsruf in das Ohr von Ḥasan rief als Fāṭima ihn zur Welt brachte. Er rief ihn, so wie er für den Ruf zum Gebet getätigt wird.
Diesen Hadith überliefern Imām Aḥmad im Musnad (Nr. 23869), Abū Dāwūd im Sunan (Nr. 5105), at-Tirmiḏī in al-Ǧāmiʿ (Nr. 1514), Aburrazzāq im Muṣannaf (Nr. 79860), aṭ-Ṭabarānī in al-Muʿǧam (Nr. 931), al-Ḥakim im al-Mustadrak (Bd. 3, S. 179), al-Bayhaqī im Sunan al-kabīr (Bd. 9, S. 305) und andere über folgende Überlieferungskette: ʿĀṣim b. ʿUbaydullāh – ʿUbaydullāh b. Abī Rāfiʿ– Abū Rāfiʿ.
Diese Überlieferung wurde von den Hadithgelehrten als schwach aufgrund ihrer Überlieferungskette eingestuft. Der Tradent ʿĀṣim b. ʿUbaydullāh ist nicht zuverlässig. Die Hadithgelehrten kritisierten ihn und bewerteten seine Zuverlässigkeit als schwach. (Siehe: Tahḏīb at-tahḏīb Bd. 2, S. 254). Der bekannte Hadithgelehrte Ibn Ḥibbān erwähnte diesen schwachen Überlieferer (ʿĀṣim) in seinem riǧal-Werk al-Maǧrūḥīn (Bd. 2, S. 127) und nannte diesen Hadith als ein Musterbeispiel für seine schwachen Hadithe.
Die Einstufung von at-Tirmiḏī zu diesem Hadith als ḥasan ṣaḥīḥ (akzeptabel/authentisch) ist aufgrund des Zustands von ʿĀṣim fragwürdig. Als al-Ḥākim diesen Hadith überlieferte schrieb er, dass dieser Hadith authentisch sei, auch wenn al-Buḫārī und Muslim ihn in ihre Sammlungen nicht aufnahmen. Der bekannte Hadithgelehrte aḏ-Ḏahabī, der das Werk al-Hakims zusammenfasste, widersprach al-Ḥākim in seine Beurteilung und sagte, dass in der Überlieferungskette ʿĀṣim ist, welcher schwach ist.
Eine ähnliche Version des Hadiths wurde von Ibn ʿAbbās und al-Ḥusayn b. ʿAlī überliefert, welche mehrere Überlieferungsketten aufweisen und aufgrund dessen Ibn al-Qayyim dies als akzeptabel und als eine Empfehlung ansah. (Tuḥfat-ul-wadūd, S. 30).
Schauen wir uns die Überlieferung von Ibn ʿAbbās näher an:
Al-Bayhaqī überliefert diesen Hadith in Šuʿab al-īmān (Nr. 8255) über al-Ḥasan b. ʿAmr b. Sayf – Manṣūr b. Ṣafiyya – Abū Maʿbad – Ibn ʿAbbās. Er berichtet, dass der Prophet (ṣ) den Gebetsruf (aḏān) in das Ohr von al-Ḥasan bei seiner Geburt rief. Er rief den Gebetsruf in seinem rechten Ohr und den zweiten Gebetsruf (iqāma) in seinem linken Ohr. Bei Nähere Untersuchung kann aber festgestellt werden, dass der Zustand von al-Ḥasan b. Amr ein sehr kritischer ist. Er wurde als sehr schwach eingeordnet, ja einige sahen ihn sogar als ein Fälscher an. Deshalb ist die Hinzufügung der iqāma äußerst merkwürdig, eventuell eine Erfindung von al-Ḥasan. In der Hadithwissenschaft gilt per Konsens, dass Hadithe mit solchen Tradenten nicht gestärkt werden können.
Was der Überlieferung von al-Ḥusayn b. ʿAlī angeht, so wird sie von Abū Yaʿlā in seinem Musnad (Nr. 6780), al-Bayhaqī im Šuaʿb al-īmān (Nr. 8254) über Yaḥya b. al-ʿAlā ar-Rāzī – Marwān b. Sālim – Ṭalḥa b. ʿAbdullah al-ʿUqaylī – Ḥusayn b. ʿAlī überliefert. Er berichtet, dass der Prophet (ṣ) sagte: „Wenn ein Kind geboren wird und der Gebetsruf (aḏān) in sein rechtes Ohr und der zweite Gebetsruf (iqāma) in sein linkes Ohr gerufen wird, so wird es vor dem Schaden der Geister (ǧinn/umm aṣ-ṣibyān) geschützt.“ Auch diese Tradentenkette ist eine sehr schwache. Yaḥya b. al-ʿAlā ar-Rāzī und Marwān b. Sālim sind beide unehrliche Tradenten gewesen. (Siehe: Taqrīb ut-tahḏīb, Nr. 7618 und Nr. 6570).
Der zeitgenössische Hadithgelehrte al-Albani stufte diesen Hadith zunächst als akzeptabel ein, änderte aber später seine Meinung. Er stufte diesen Hadith zunächst als akzeptabel ein, basierend auf der oben genannten Überlieferung von Ibn ʿAbbās. Dabei verließ er sich auf Ibn al-Qayyim, da das Werk Šuʿab al-īmān noch nicht zugänglich war. Als aber Šuʿab al-īmān gedruckt wurde und er diesen Hadith selbstständig untersuchen konnte, fand er heraus, dass er sehr schwach war. (Siehe Silsilat ul-aḥādīṯ aḍ-ḍaʿīfa Bd. 13, S. 272 f.)
Es lässt sich schlussfolgern, dass die erste Version dieses Hadithes schwach ist und die anderen sehr schwach. Somit können sich die verschiedenen Überlieferungswege aufgrund ihrer sehr starken Schwächen nicht gegenseitig stützen bzw. stärken, weshalb diese Praktik bei einigen Gelehrten eine fragwürdige Handlung darstellt. Andere Gelehrten sahen dies als eine Sunna an. Der Imām an-Nawawī schrieb: „Die Sunna ist es, den Gebetsruf (aḏān) in das Ohr des Neugeborenen zu sprechen, egal ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Der Wortlaut ist der des regulären Gebetsrufs. Dies aufgrund des Hadiths von Abū Rāfiʿ[…]. Eine Gruppe unserer Gefährten (der šāfiʿitischen Rechtsschule) sagte: ‚Es ist erwünscht (mustaḥabb), den Gebetsruf ins rechte Ohr (des Neugeborenen) zu sprechen und die iqāma ins linke Ohr‘.“ (Siehe al-Maġmūʿ, Bd. 9, S. 356). Ibn Qudāma schrieb in seinem Werk al-Muġnī (Bd. 11, S. 120): „Es ist wünschenswert, dass der Vater den Gebetsruf in das Ohr seines Neugeborenen hineinspricht, wenn es zur Welt gekommen ist.“
Und Allah weiß es am besten!