Sahih

by | May 26, 2017

In diesem Beitrag erhält der Leser eine Einführung in den Hadithwissenschaften und ihre Entwicklung. Darunter werden auch wichtige Fachbegriffe erläutert und eine Liste mit den wichtigsten Büchern bezüglich der Hadithwissenschaften (Mustalah) chronologisch aufgelistet.

Die Entwicklung der Hadithwissenschaften

Die Hadithwissenschaften gehören zu den wichtigsten Wissenschaftsdisziplinen des Islam. Durch sie wird die authentische Sunna des Gesandten (s) aufbewahrt, die schon seit Beginn der Offenbarung als Erklärung des Koran diente. Insbesondere nachdem die ersten Generationen der Gefährten verstorben waren, wurde eine umfassende Entwicklung der authentischen und sicheren Aufzeichnung der Hadithe (Verweis auf Definition von Hadith) des Propheten (s) unabdingbar. Im Koran heißt es:

„Und Wir haben zu dir die Ermahnung hinabgesandt, damit du den Menschen klarmachst, was ihnen offenbart worden ist …“

So schenkte Allah der islamischen Gemeinschaft aufrichtige und kompetente Gelehrte, die ihr ganzes Leben mit dem Sammeln und Tradieren von Hadithen verbrachten. Sie stellten detaillierte Regeln auf, wie schwache von authentischen Hadithen unterschieden werden konnten. Die Hadithwissenschaften bestehen aus den zwei Hauptkategorien „ʿIlm-al-ḥadīṭ riwāyatan“ und „ʿIlm-al-ḥadīṭ dirāyatan“
Ilm-al-ḥadīṭ riwāyatan: Diese Kategorie befasst sich mit dem eigentlichen Vorgang der Tradierung von Überlieferer zu Überlieferer sowie mit der Form der Übertragung (ṭuruq-at-taḥammul). Insbesondere wird der korrekten Vokalisierung der Namen der Überlieferer und der Wörter allgemein (ḍabt) hier große Beachtung geschenkt – dies, um Fehler zu vermeiden, die das richtige Verständnis oder die korrekte Klassifizierung der Hadithe beeinträchtigen könnten.

ʿIlm-al-ḥadīṭ dirāyatan: Diese Kategorie befasst sich mit Regeln (qawāʿid), auf die die Hadithgelehrten zurückgreifen, um die Qualität (ḥāl) der Tradentenkette/Tradierungskette/Überlieferungskette (isnād) und des Überlieferungstextes (matn) festzustellen, um sie anschließend auf einer Skala einordnen zu können.

Diese Aufteilung wird unter anderem von Hadithgelehrten al-Ḥāfiż Ibn Ḥağr (gest. 852 n. H.) bevorzugt. In vielen Büchern werden die beiden Kategorien allerdings zusammen behandelt.

Nicht umsonst erwähnt al-Ḥāfiż as-Suyūṭī in seinem Buch „Tadrīb-ur-Rāwī“ 93 Teildisziplinen der Hadithwissenschaften. Im Zuge der Entwicklung der Hadithwissenschaften wurden separate Bücher zu vielen Teildisziplinen angefertigt, kommentiert und ausgearbeitet.

Hauptziel dieser Wissenschaft ist es, zu gewährleisten, dass zwischen authentischen und nicht authentischen Überlieferungen zuverlässig unterschieden werden kann.

Die grundlegendsten Regeln finden ihre Wurzeln in der Zeit der Prophetengefährten (ṣaḥābī, pl. aṣḥāb/ṣaḥāba). Es wird authentisch überliefert, dass sie nicht leichtgläubig jede Überlieferung annahmen, sondern sie verlangten von manchen Tradenten weitere Zeugen bzw. stützende Beweise. Ausgenommen von der Tradentenbeurteilung sind die Prophetengefährten. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie nichts Falsches über den Propheten berichtet hätten. Dies lässt sich u. a. aus folgendem Vers schlussfolgern: „Die vorausgeeilten Ersten von den Auswanderern und den Helfern und diejenigen, die ihnen auf beste Weise gefolgt sind – Allah hat Wohlgefallen an ihnen, und sie haben Wohlgefallen an Ihm. Und Er hat für sie Gärten bereitet, durcheilt von Bächen, ewig und auf immer darin zu bleiben; das ist der großartige Erfolg.“[2]

In der darauffolgenden Generation (tābiʿūn) nahm die Notwendigkeit der Tradentenbeurteilung und deren überlieferter Inhalt zu. Dies lag daran, dass bereits einige erfundene Hadithe im Umlauf waren. Laut Dr. Abdulkarim al-Khudair war Imām aš-Šāfiʿī (204/) der erste Gelehrte, der in seinem bekannten Werk ar-Risāla einige Regeln und Grundlagen explizit formulierte und schriftlich festhielt. Dort erwähnt er beispielsweise Bedingungen dafür, wann ein Hadith als Grundlage in der Rechtsprechung und anderen Bereichen des Islams genommen werden kann, oder, ob es erlaubt sei, Hadithe sinngemäß und nicht wörtlich wiederzugeben. Darüber hinaus stellte er in seinem Werk die Bedingung auf, dass der Tradent die überlieferten Hadithe auswendig zu kennen hatte. Er schrieb auch über die Hadithdisziplin „Muḫtalaf-al-Ḥadīṯ“ (sich augenscheinlich widersprechende Hadithe). Andere Gelehrte in seiner Ära wie Abu ʿUbayd al-Qāsim Ibn as-Salām (224/) schrieben Bücher über die wichtige Teildisziplin „ġarīb-al-ḥadīṯḥadīṭ“ (unbekannte bzw. wenig verwendete Begriffe in Hadithen).

ʿAlī Ibn al-Madīnī (161-234 H.) ragte hervor, indem er zahlreiche Bücher über unterschiedliche Hadithdisziplinen, darunter ʿIlal al-ḥadīṯ (versteckte Hadithmängel) — eine der wichtigsten Disziplinen der Hadithwissenschaften — verfasste. An-Nawwāwī (?) überlieferte aus ǧāmiʿ al-ḫaṭīb, dass ʿAlī Ibn al-Madīnī insgesamt 200 Bücher verfasste. Die wenigsten davon sind heute noch zu finden.

Eine andere wichtige Persönlichkeit, die sich mit der Hadithkritik befasste, ist Yaʿqūb Bin Šaybah al-Baṣrī (234). Ein kleiner Teil seines Hadithwerkes al-Musnad al-Kabīr ist heute noch erhältlich. Dort benutzt er viele Fachbegriffe, um die Stufe eines jeweiligen Hadiths zu bestimmen, zum Beispiel: ḥādīṯun ḥasan-al-isnād, wahua ṣaḥīḥ (der Hadith besitzt eine gute bzw. akzeptable Kette und ist authentisch).[3]

Anschließend kamen andere bekannte Gelehrte auf, wie Yaḥyā Bin Maʿīn (158-233 H.), Aḥmad Bin Ḥanbal (164-241 H.), al-Buḫārī (194-256 H.) und Muslim (204-261 H.). Von letzterem finden sich ganz wichtige Grundlagen der Hadithkritik in der muqaddima (Einleitung) seiner Hadithsammlung, sowie deren Anwendung in seiner Abhandlung über Hadithkritik at-Tamyīz (die Unterscheidung). Zu diesen bekannten Gelehrten zählt auch at-Tirmiḏī (209-279 H.) mit seinen beiden Werken über Hadithkritik al-ʿIlal al-kabīr (Hadithmängel, ursprüngliche Fassung) und al-ʿIlal aṣ-ṣaġīr (Hadithmängel, zusammengefasste Edition).  Sein Werk al-ʿIlal aṣ-Ṣaġīr wird aufgrund der wichtigen Ausführungen und Grundlagen heute noch an verschiedenen Universitäten analysiert. Es werden darin die bekanntesten Teildisziplinen der Hadithwissenschaften wie Hadithkritik (naqd), Tradentenkritik (al-ğarḥ wa-taʿdīl) und einige Haditharten anwendungsorientiert behandelt. Auch Abū Dāwūd (?) verfasste eine Art Einleitung zu seiner Hadithsammlung Sunan Abī Dāwūd, die bekannt ist unter den Titel Risālat Abī Dāwūd ilā ahli Makka (Der Brief von Abū Dāwūd an die Mekkaner).

Im nachfolgenden Jahrhundert folgten andere Hadithgelehrte, wie Ibn Abū Ḥāṯim (240-327 H.) mit sehr wichtigen Büchern bezüglich verdeckte Hadithmängeln (ʿilal), Hadithkritik (naqd) und andere Bereiche der Hadithwissenschaften. Zu erwähnen sind zum Beispiel al-ʿIlal und al-Ğarḥ wa at-Taʿdīl, wobei im letzteren u. a. sehr wichtige Grundlagen über die Tradentenkritik zu finden sind.

Bis zu dieser Zeit gab es jedoch keine umfassenden Werke, die die Gesamtheit aller Grundlagen beinhalteten. Bis al-Hasan Bin Ḫalād Ar-Rāmahurmuzī (265-360 H.) dies in seinem Buch Al-Muḥaddiṯ al-Fāṣil bayna ar-Rāwī wa al-Wāʿī (Der unterscheidende Hadithgelehrte zwischen dem Überlieferer und dem Verstehenden) versuchte, gab es überwiegend Werke, die diese Regeln direkt anwandten, jedoch keine, die sie in theoretischer Form auflisteten und behandelten, auch wenn Ar-Rāmahurmuzī viele Teildisziplinen nicht explizit erwähnte. Ihm folgte al-Ḥākim (gest. 405/1012) mit Maʿrifatu ʿUlūm al-Hadith (Die Kenntnis über die Hadithwissenschaften), er behandelte darin 52 Kategorien (nawʿ), wobei der Aufbau der behandelten Disziplinen von einigen Hadithgelehrten kritisiert wird und es an wichtigen Aspekten dieser Wissenschaft mangelt. Deshalb versuchte Abū Nuʿaym al-Aṣbahānī (gest. 430/1038) das Werk al-Ḥākims zu ergänzen und verfasste alMustaḫrağ ʿalā ʿulūm al-ḥadīṯ li-l-Ḥākim (Die Ergänzung der ‚Hadithwissenschaften‘ von al-Ḥākim). Hiernach kam der große Hadithgelehrte al-Ḥaṯīb al-Baġdādī (463 H). Er schrieb viele bedeutsame Werke, zu den wichtigsten in den Hadithwissenschaften gehört sein al-Kifāyah fi ʿilm ar-riwāyah (Das ausreichende Wissen über die Überlieferungswissenschaft). Alle Gelehrten, die nach Al-Baġdādī über diese Wissenschaften schrieben, stützten sich nun auf seine Werke, vor allem auf das erwähnte Buch.

Im siebten Jahrhundert erlebten die Hadithwissenschaften eine Wende, indem Ibn aṣ-Ṣalāḥ aṣ-Ṣahrazūrī (gest. 643) das Buch Maʿrifatu ʿUlūm Al-Ḥadīṯ (Das Kenntnis über die Hadithwissenschaften), besser bekannt unter dem Namen Muqaddimatu-ibnu-Ṣalāḥ (Die Einleitung von Ibn aṣ-Ṣalāḥ), veröffentlichte. Er verfasste dieses Buch während er als Lehrer an der bekannten Schule Dār al-Ḥadīṯ in Damaskus fungierte. Auch wenn er sich dabei auf die Werke von al-Ḥākim und al-Ḥaṯīb al-Baġdādī stützte, wurde sein Buch von den nach ihn kommenden Gelehrten als Hauptgrundlage genommen. Zum Beispiel kürzte an-Nawwāwī (676) dieses Werk und nannte es al-Irṣād, welches er wiederum zusammenfasste und betitelte es mit at-Taqrīb wa at-Taysīr (Die Annäherung und die Erleichterung). Dieses Werk wurde wiederum von al-Ḥāfiż as-Suyūṭī (911) in seinem Werk Tadrīb Ar-Rāwī (Das Ausbilden des Überlieferers) erläutert. Eine andere wichtige Zusammenfassung des Buches von Ibn as-Ṣalāḥ ist Iḫtiṣār ʿUlūm Al-Ḥadīṯ (Die Zusammenfassung der ‚Hadithwissenschaften‘) von al-Ḥāfiż Ibn Kaṯīr (774), welches von Aḥmad Šākir (1958) in al-Bāʿiṯ Al-Ḥaṯīṯ () erläutert wurde. Ein ganz besonderes Werk verfasste al-Ḥāfiż al-ʿIrāqī (806): Es war ein aus der muqaddimaibn-uṢalāḥ verfasstes Gedicht, bestehend aus ca. 1000 Versen, welches dann von al-Ḥāfiż al-Saḫāwī (902) in einem fünfbändigen Werk namens Fatḥ al-Muġīṯ () erläutert wurde.

Eine andere Wende erlebten die Hadithwissenschaften durch den Meister der Hadithgelehrten Ibn Ḥağar al-ʿAsqalānī (gest. 852/). Er verfasste verschiedene bedeutsame, neu strukturierte Werke über die Hadithwissenschaften; darunter Nuḫbat-ul-Fikr () und die dazugehörige Erläuterung Nuzhat-un-Naẓar (). Auch an-Nukat () gehört zu den bedeutenden Werken, wobei seine Erklärung zu Ṣaḥīḥ al-Buḫārī namens Fath-ul-Bārī (Der Sieg des Sachkundigen) und die dazugehörige Einleitung Hūdā-s-sārī als große Bereicherung gilt. Als Imām aš-Šawkānī (gest.) von seinen Schülern gebeten wurde, einen Kommentar zu Ṣaḥīḥ al-Buḫārī zu verfassen, antwortete er mit dem Zitat des Propheten (s): „Es gibt keine Auswanderung nach dem Sieg“ (la hiğrata bʿad al-fatḥ). Damit meinte er, dass Ṣaḥīḥ al-Buḫārī nach dem Werk Fath-ul-Bārī (Der Sieg des Sachkundigen) von Ibn Ḥağar al-ʿAsqalānī (gest. 852) keiner Erklärung mehr bedarf. Anschließend entstanden weitere Veröffentlichungen über die Hadithwissenschaften, wie zum Beispiel das bekannte Buch von as-Ṣuyūṭī (911/) Tadrib ar-Rāwī, ein Kommentar zu Taqrīb an-Nawwāwī oder der obenerwähnte Fatḥ al-Muġīṯ von al-Ḥāfiż al-Saḫāwī (902) in fünf Bänden. Folgende Tabelle soll die wichtigsten Werke chronologisch geordnet auflisten.

 

[1] Sūre An-Naḫl, Vers 44.

[2] Koran, Sure 9, Vers 100

[3] Al-Musnad al-Kabīr S. 60.

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