Die Bewahrung der Sunna

von | Jun 17, 2022

Abstract

Die Sunna wird in verschiedenen Formen bewahrt, diese Varianz ist von den historischen Gegebenheiten und jeweils verfügbaren Mitteln abhängig. Aus diesem Grund wurde die Sunna in den ersten Jahrhunderten nach dem Tod des Propheten (ṣ) mit beachtlicher Anstrengung bewahrt, damals wurden alle verfügbaren Möglichkeiten, Ressourcen und Mittel ausgeschöpft, um die Sunna zu dokumentieren. Die Muslime dieser Epoche pflegten die Sunna, indem sie das damit verbundene Wissen weitergaben, das Überlieferte praktizierten, die Sunna niederschrieben und ein System mit einer eigenen Theorie entwickelten, um sie vor Fälschungen zu schützen. So wurde die Sunna in ihrer Gänze in der gesamten islamischen Glaubensgemeinschaft verbreitet. Dieser Beitrag* erläutert, wie die Gelehrten die Sunna bewahrten und weitergaben. Er geht hauptsächlich auf die ersten drei Jahrhunderte nach der Hidschra ein, die Hauptphase der Hadithniederschrift.

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Infografik

Erstens: Die Bewahrung der Sunna in der Generation der Prophetengefährten (Ṣaḥāba)

Zu Lebzeiten des Gesandten Allahs (ṣ) leiteten die Prophetengefährten Regeln zur islamischen Beurteilung von Fragestellungen aus dem Koran ab, sie stützten sich dabei auf die Erläuterungen des Propheten (ṣ). Allerdings ist der Koran nicht ohne weiteres zu verstehen, da einige Verse unspezifisch (muǧmal) sind, die andere Textstellen zur Erläuterung (mufaṣṣal) benötigen, andere Passagen sind wiederum nicht näher bestimmt (muṭlaq) und werden an anderer Stelle eingeschränkt (muqayyad). Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Verpflichtung zum Gebet „und verrichtet das Gebet!“,[1] die im heiligen Koran nur allgemein formuliert ist, ohne die Details des Gebets zu beschreiben wie die Anzahl der Gebetseinheiten (rakʿāt); es bleibt daher offen, wie und wann das Gebet zu verrichten ist, auch wenn einige Haltungen und Gebetszeiten im Koran angedeutet werden.[2] Gleiches gilt für die Verpflichtung zur Zakat, der Pflichtabgabe an Bedürftige, die im Koran unbestimmt und nicht präzise erläutert vorkommt. Im Koran sind weder eine Erhebungsgrenze für die Zakat noch der abzugebende Satz zu finden, geschweige denn eine Erläuterung der Voraussetzungen. Es wird ersichtlich, dass die koranischen Gebote einer Erläuterung bedürfen, um den Islam vollständig verstehen und die von Allah auferlegten Gebote korrekt umsetzen zu können.

Es existieren zahlreiche Regeln, deren korrekte Ausführung ohne eine Erklärung ihrer Voraussetzungen (šurūṭ) und Elementarpflichten (arkān) nicht möglich ist. Aus diesem Grund erkundigten sich die Prophetengefährten stets beim Gesandten Allahs (ṣ) um die Details dieser Regeln und deren konkrete Umsetzung zu erlernen. Nicht zuletzt ist der Gesandte Allahs (ṣ) der Verkünder seines Herrn, er kennt somit besser als jeder andere die Gebote Allahs und weiß am besten, was Er mit Seinen Worten beabsichtigt.

Allah weist im Koran deutlich auf die Bedeutung Seines Gesandten (ṣ) hin und konkludiert, dass dieser den Koran erläutert und vorlebt. So heißt es sinngemäß: „Und Wir haben zu dir die Ermahnung hinabgesandt, damit du den Menschen erklärst, was ihnen offenbart worden ist, und auf dass sie nachdenken mögen.“ [3]

Die Prophetengefährten achteten diese Grenzen, Gebote und Verbote und nahmen sich den Propheten (ṣ) sowohl in seinen weltlichen und gottesdienstlichen Handlungen als auch in zwischenmenschlichen Beziehungen zum wichtigsten Vorbild. Die einzige Ausnahme hierbei waren Belange, in denen sie sich sicher waren, dass sie speziell für den Gesandten Allahs (ṣ) gelten. Sie lernten also von ihm die Vorschriften des Gebetes wie seine Pflichthandlungen und konkrete Umsetzung gemäß seiner Aufforderung: „Betet, wie ihr mich habt beten sehen.“[4]

Auch die Riten der Hadsch übernahmen sie vom Propheten (ṣ) da er sagte: „Übernehmt eure Hadschriten von mir.“[5] Sie ahmten ihn dergestalt nach und waren so darum bemüht, wie er zu leben und zu handeln, dass sie ausnahmslos alles taten, was der Gesandte Allahs (ṣ) vorlebte, und alles unterließen, was er unterließ, ohne zuweilen den Grund dafür zu kennen oder danach zu fragen. So überliefert etwa al-Buḫārī, dass Ibn ʿUmar (r) sagte: „Als der Gesandte Allahs (ṣ) sich einen Ring aus Gold beschaffte, beschafften sich die Menschen ebenfalls Ringe aus Gold. Danach warf der Prophet (ṣ) seinen Ring weg und rief: ‚Ich werde ihn nie wieder tragen.‘ Daraufhin warfen auch die Menschen ihre Ringe weg.“[6] Die Muslime vertrauten dem Propheten (ṣ) so sehr, dass sie ohne jegliche Zweifel seinem Vorbild folgten.

Weiter überliefert Abū Dawūd, dass Abū Saʿīd al-Ḫudrī (r) berichtete: „Während sich der Gesandte Allahs (ṣ) eines Tages betete, zog er plötzlich seine Sandalen aus und legte sie zu seiner Linken. Als die Leute ihn dies tun sahen, zogen sie ihre Sandalen ebenfalls aus. Nachdem der Gesandte Allahs (ṣ) das Gebet beendet hatte, fragte er sie: ‚Was hat euch dazu bewogen, eure Sandalen auszuziehen?‘ Sie antworteten: ‚Wir haben gesehen, wie du deine Sandalen ausgezogen hast und so taten wir dasselbe mit unseren.‘ Darauf erwiderte der Prophet (ṣ): ‚Dschibril kam zu mir und informierte mich darüber, dass an ihnen (den Sandalen) rituell Unreines haftet.“[7]

Ihr Eifer in der Beobachtung seiner Aussagen und Taten erreichte solch eine Intensität, dass sie sich untereinander Tag für Tag darin abwechselten, seinen Sitzungen beizuwohnen. Diesbezüglich berichtete ʿUmar ibn al Ḫaṭṭāb (r) in einer Überlieferung bei al-Buḫārī: „Ich und einer meiner Nachbarn von den Anṣār lebten bei der Sippe Banū Umayya b. Zaid in einem Vorort von Medina. Wir gingen abwechselnd zum Gesandten Allahs (ṣ): Er begab sich an einem Tag zu ihm, und ich am nächsten. Wenn ich zum Propheten (ṣ) ging, berichtete ich ihm über die Ereignisse des Tages, und wenn er ihn aufsuchte, tat er dasselbe.“[8]

Auch die von Medina weit entfernten Stämme entsandten angesehene Vertreter zum Gesandten Allahs (ṣ), um die Vorschriften des Islams von ihm zu erlernen und anschließend zu ihren Stämmen zurückzukehren, um sie zu unterweisen. Es kam auch vor, dass ein Prophetengefährte ohne Zögern große Entfernungen zurücklegte, nur um den Gesandten Allahs (ṣ) nach einem neuen Problem oder einem religiösen Gebot zu fragen. Der Imam al-Buḫārī überliefert in seinem Ṣaḥīḥ-Werk von ʿUqba b. al-Ḥāriṯ, dass ihn eine Frau darüber informierte, ihn und seine jetzige Ehefrau gestillt zu haben. Unverzüglich ritt er von Mekka nach Medina, um den Gesandten Allahs (ṣ) zu treffen und darüber zu fragen, wie es islamisch zu beurteilen ist, wenn jemand eine Frau heiratet, ohne zu wissen, dass es sich um seine Milchschwester handelt, und dies erst im Nachhinein von der Milchmutter erfährt. Der Prophet (ṣ) antwortete ihm: „Wie (soll dies noch gültig sein), wo es doch bereits gesagt wurde?!“[9]

Eine weitere Gewohnheit der Prophetengefährten bestand darin, die Frauen des Propheten (ṣ) über Eheangelegenheiten zu befragen, da sie darüber am besten Bescheid wussten. Und auch Frauen suchten die Gattinnen des Propheten (ṣ) auf, um sie nach Angelegenheiten in der Religion zu befragen. Manchmal suchten sie den Gesandten Allahs (ṣ) direkt auf und fragten ihn zu diversen Belangen. Wenn der Prophet (ṣ) aus irgendeinem Grund einer Frau die Frage nicht direkt beantworten wollte, übertrug er einer seiner Frauen diese Aufgabe. Ein Beispiel hierfür ist etwa der von ʿĀʾiša (r) überlieferte Hadith, in dem sie erklärt, wie sich Frauen nach der Menstruation reinigen.[10] Die Fürsorge der besten Generationen (bezogen auf die edle Sunna) äußerte sich zu Lebzeiten des Propheten (ṣ) darin, dass sie ihm konsequent folgten, seine Gebote und Verbote achteten, seine Urteile annahmen, präzise seinem Vorbild folgten und seine Sunna eifrig erlernten.

Nach dem Tod des Propheten (ṣ) bewahrten die Prophetengefährten die Sunna zusätzlich zu den bisher genannten Methoden durch weitere Aspekte. Sie lernten die Sunna auswendig und vergewisserten sich über die Authentizität ihrer Überlieferung. Dies nahm ein solches Ausmaß an, dass einige unter ihnen eine einmonatige Reise zu Fuß auf sich nahmen, um sich über den Wortlaut eines einzigen Hadithes zu vergewissern.[11] Des Weiteren schrieben sie Hadithe auf Blätter, Holztafeln und in Büchlein nieder und verbreiteten sie, auch wenn dies einzelne Gefährten schon zu Lebzeiten des Propheten (ṣ) taten. Die Prophetengefährten wandten darüber hinaus weitere Methoden zur Bewahrung der Sunna an, die durchaus systematisch und an der damaligen Praxis orientiert waren. Diese Vorgehensweisen sind im Folgenden erläutert.

Die Prophetengefährten waren sich ihrer enormen Verantwortung bewusst, die als moralischer Imperativ fungierte und sie dazu verpflichtete, die Scharia zu bewahren, sie korrekt zu praktizieren und anschließend der Umma zu übermitteln. Und so erfüllten sie (ähnlich wie der Gesandte Allahs (ṣ) ihre Aufgabe und wurden zu essenziellen Akteuren in der Bewahrung der Sunna. Diese sorgfältige Dokumentation bildet bis heute das Fundament des sunnitischen Islams, da allein die Mühen der Prophetengefährten eine Übermittlung und Erhaltung der Sunna in Theorie und Praxis ermöglichte. Sie wurden dieser Aufgabe nach dem Propheten Allahs (ṣ) am besten gerecht. Bereits der Gesandte Allahs (ṣ) sensibilisierte sie für diese enorme Verantwortung. Ein bekanntes Beispiel einer solchen Aussage ist folgende Überlieferung des Propheten (ṣ): „Verkündet von mir, sei es auch nur ein Vers, und berichtet ohne Bedenken von den Israeliten.“[12]

Ein weiteres Beispiel sind die Worte des Propheten (ṣ): „Möge Allah jene Person erleuchten, die meine Worte hörte, im Gedächtnis behielt und so weitergab, wie er sie vernommen hat. Denn vielleicht begreift jemand, den diese Worte erreichen, mehr als derjenige, der sie (von mir) hörte.“[13] Ferner sagte er: „Wer über mich absichtlich lügt, soll seinen Platz im Höllenfeuer einnehmen“[14] und „Es genügt dem Menschen als Lüge, alles weiterzuerzählen, was er hört.“[15] Und nicht zuletzt folgende Aussage: „Wer von mir einen Hadith überliefert, den er als erlogen erachtet, gehört selbst zu den Lügnern.“[16] Zu diesem Thema sind noch viele weitere Hadithe bekannt.

Aus all den Gründen, die aus diesen Aussagen zu entnehmen sind, überprüften die Prophetengefährten akribisch, was sie vom Gesandten Allahs (ṣ) überlieferten. Trotz ihres Eifers, der Umma Allahs Religion zu verkünden, vergewisserten sie sich genau und korrigierten Flüchtigkeitsfehler. Sie berichteten ausschließlich das, worin sie sich sicher waren, dass es authentisch auf den Propheten (ṣ) zurückzuführen ist und akzeptierten keine anderen Überlieferungen, es sei denn, sie wussten, dass sie so stimmen. Dies sei an einigen Beispielen erläutert:

  • Anas (r) sagte: „Würde ich mich nicht davor fürchten, einen Fehler zu begehen, hätte ich euch von Dingen berichtet, die ich vom Gesandten Allahs (ṣ) hörte oder die er sagte. Dies tat ich nur, weil ich ihn sagen hörte: ‚Wer über mich absichtlich lügt, soll seinen Platz im Höllenfeuer einnehmen.‘“[17]
  • Ibn Sīrīn sagte: „Anas berichtete nur wenig über den Propheten (ṣ). Und wenn er es tat, pflegte er zu sagen: ‚Oder wie es der Gesandte Allahs (ṣ) eben sagte.‘“[18]
  • Aš-Šaʿbī und Ibn Sīrīn sagten: „Wenn Ibn Masʿūd über den Gesandten Allahs (ṣ) sprach, wurde er unruhig und sagte: ‚Genau so oder so ähnlich. Genau so oder so ähnlich.‘“[19]
  • ʿAbdur-Raḥmān b.. Abī Lailā sagte: „Ich traf 120 Gefährten Muhammads von den ʾAnṣār. Keiner von ihnen überlieferte einen Hadith, ohne sich dabei gewünscht zu haben, sein Gefährte würde ihm dies ersparen, und jedes Mal, wenn einer um eine Fatwa (ein Rechtsgutachten) gebeten wurde, wünschte er sich, einer seiner Gefährten hätte dies übernommen.“[20]
  • As-Sāʾib b. Yazīd sagte: „Als ich mit Saʿd nach Mekka aufbrach, hörte ich ihn keinen Hadith vom Gesandten Allahs (ṣ) berichten, bis wir nach Medina zurückkehrten.“[21]
  • ʿAbd ar-Raḥmān b. Abī Lailā sagte: „Wir baten einst Zaid b. Arqam: ‚Berichte uns doch etwas über den Gesandten Allahs (ṣ)!‘ Er antworte: ‚Wir sind alt geworden und haben vergessen, und über den Gesandten Allahs (ṣ) zu berichten ist eine gewaltige Verantwortung.‘“[22]

Zweitens: Die Bewahrung der Sunna in der Generation der Tābiʿīn und danach

Eine Epoche endet nicht abrupt zu einem bestimmten Datum, vielmehr geht sie allmählich in die nächste über, indem die Generation der Prophetengefährten (zwischen 11 und 110 n. H.) allmählich ausstirbt. Bereits zu Lebzeiten der Prophetengefährten traten Wirren, Sekten und Veränderungen der Religion in Erscheinung. Die Anhänger von Religionen, die den Islam als Bedrohung wahrnahmen, sahen sich durch die neue Botschaft bedrängt, die die Prophetengefährten verbreiteten. Manche beneideten die Muslime um ihren geschichtlichen und soziokulturellen Erfolg, sodass sie seine schnelle Ausbreitung diskreditierten. Es war nicht mehr realistisch, die Expansion des Islams durch Gewalt zu stoppen, sodass sie auf andere Mittel zurückgriffen: Sie versuchten, diese Religion von innen zu zerstören und Zwietracht zu säen. Und so begannen dem Islam feindlich Gesinnte, Wirren, Zweifel und Halbwahrheiten über den Islam unter den Muslimen zu verbreiten. Besonders anfällig für solche Entstellungen der Religion waren diejenigen Muslime, die erst vor kurzem den Islam angenommen hatten. Die Wirren begannen, wie Ḥuḏaifa (r) in einer Überlieferung sagte, bereits mit der sogenannten „Zerstörung des Tores“: Der zweite Kalif ʿUmar (r) fragte Ḥuḏaifa (r) nach den Wirren, über die der Prophet (ṣ) sagte, dass sie sich wie die Wogen des Meeres ausbreiten. Ḥuḏaifa antwortete ihm: „Was kümmert dich das, o Emir der Gläubigen? Zwischen dir und ihnen befindet sich ein wohl verschlossenes Tor.“ ʿUmar fragte: „Wird das Tor geöffnet oder aufgebrochen werden?“ Er entgegnete: „Es wird aufgebrochen werden.“ Daraufhin erwiderte ʿUmar: „Dann wird es nie wieder geschlossen.“ Ḥuḏaifa (r) erwähnt in diesem Hadith, dass ʿUmar sehr wohl wusste, dass er mit diesem „Tor“ gemeint ist.[23]

Mit der Ermordung ʿUmars (r) wurde dieses „Tor“ aufgebrochen. Die nun folgenden Wirren begannen mit einem Komplott von Anhängern der alten persischen Religion und anderen Glaubensgemeinschaften. Dieser Anschlag auf den zweiten Kalifen markiert den Beginn einer Reihe von Wirren, die die frühen Muslime erschütterten. Das Leben ʿUmars (r) zeigt, dass er wachsam verhinderte, dass die Religion entstellt wird. Sobald ein Versuch unternommen wurde, die ursprüngliche Lehre zu entstellen, griff er konsequent ein. Die Geschichten von Ṣabīġ b. ʿIsl[24] und Daniāl,[25] der Pamphlete kopierte und verbreitete, belegen, wie wachsam und streng ʿUmar gegen Veränderungen der ursprünglichen Botschaft vorging. ʿUmar entschied über beide, als er sie nach Medina rief und sie unter Druck setzte, bis sie bereuten und ihre Reue bekanntgaben. Erst dann schickte er sie wieder zurück zu ihrem Volk. Allerdings verbot er den Muslimen, einen Monat lang mit ihnen zu sprechen oder bei ihnen zu sitzen.

Es gab auch Bestrebungen von jüdischer Seite, den Islam von innen zu bekämpfen. Ibn Sabaʾ[26] war ihr Anführer und entwickelte sich im weiteren Verlauf zu einem Hauptakteur gegen das Kalifat von ʿUṯmān, indem er die Lehre von der Göttlichkeit ʿAlīs verbreitete und die Kalifen vor ihm verfluchte. Später entstanden weitere Sekten wie die Qadariyya, Ǧahmiyya, Rāfiḍa (Schia), Muʿtazila und weitere.

Als diese Sekten an Zulauf gewannen, erweiterte die Generation nach den Prophetengefährten (die Generation der Tabiʿīn und ihre Nachfolger) ihre Methoden zur Bewahrung der Sunna. Diese neuen Vorgehensweisen sind daher ein Kind ihrer Zeit und basieren auf den Möglichkeiten und den vorhandenen Mitteln, die damals verfügbar waren.

Die Methode dieser Generation bei der Bewahrung der Sunna lässt sich im Wesentlichen auf drei Punkte reduzieren:

  • Ihre Bewahrung durch Auswendiglernen,
  • Das Überprüfen der Gewährspersonen (Überlieferungskette),
  • Die Forschung nach der Zuverlässigkeit der Überlieferer, aus diesem Ansatz ging schließlich die Wissenschaft der Tradentenkritik (ʿIlm ar-Riǧāl) hervor, ein Alleinstellungsmerkmal der islamischen Gelehrsamkeit.

Die Dokumentierung der Sunna begann mit der Niederschrift auf Holztafeln und Blättern. Anschließend entwickelte sich die Verschriftlichung weiter, es entstanden die ersten sortierten Hadithwerke. Diese waren entweder thematisch sortiert, wie die sechs kanonischen Hadithsammlungen und al-Muwaṭṭaʾ, oder aber gemäß der Überlieferer, wie beispielsweise der Musnad des Imams Aḥmad b. Ḥanbal. [27]

Dies sei im Folgenden anhand einiger Aussagen der frühen Gelehrten über die Nachforschung und Trandentenkritik veranschaulicht. Diese Gelehrten betonen zudem, dass Überlieferungen derer abzulehnen sind, die nicht als vertrauenswürdig gelten:

Der Imam Muslim ibn al-Ḥaǧǧāǧ sagte: „Wisse, möge Allah, der Erhabene, dir Erfolg verleihen, dass jeder, der die authentischen von den schwachen Überlieferungen und die zuverlässigen von den kritisierten Überlieferern unterscheiden kann, ausschließlich dann Aussagen überliefern darf, wenn er von deren korrekten Ursprung und der Unbescholtenheit Tradenten überzeugt ist. Zudem muss er sich vor Überlieferungen in Acht nehmen, die von der Lüge bezichtigten Tradenten, Aufwieglern und Sektierern tradiert sind.“[28]

Abū Huraira (r) berichtet, dass der Gesandte (ṣ) sagte: „In der Endzeit werden dreiste Lügner aufkommen, sie werden euch Hadithe bringen, die weder ihr noch eure Väter je gehört habt. Hütet euch vor ihnen und auch sie sollen sich hüten! Lasst euch nicht durch sie beirren.“[29]

Zudem erwähnt Imam Muslim eine Aussage von Muǧāhid, in der es heißt: „Bašīr ibn Kaʿb al-ʿAdawī ging zu Ibn ʿAbbās und begann zu überliefern, indem er sagte: ‚Der Gesandte Allahs (ṣ) sagte dies, der Gesandte Allah (ṣ) sagte jenes.‘ Doch Ibn ʿAbbās schenkte seinen Hadithen kein Gehör und ignorierte sie. Also rief er: ‚O Ibn ʿAbbās, warum hörst du dir meine Hadithe nicht an? Ich überliefere über den Gesandten Allahs (ṣ) und du hörst nicht zu?‘ Ibn ʿAbbās entgegnete: ‚Wenn wir jemanden »Der Gesandte Allahs (ṣ) sprach […]« sagen hörten, wurden wir aufmerksam und hörten genau hin. Doch seitdem die Menschen begannen, auf Abwege zu geraten, akzeptierten wir von ihnen nur noch das, was wir bereits kennen.‘“[30]  Dazu sagte Ibn Sīrīn: „Dieses Wissen ist die wahrhaftige Religion, so achtet darauf, von wem ihr eure Religion nehmt!“ Weiter sagte er: „Die Leute fragten für gewöhnlich nicht nach dem Isnād. Doch als die Wirren einsetzten, sagten sie: ‚Nennt uns eure Gewährsleute!‘ Gehörten sie zu den Leuten der Sunna, wurden ihre Überlieferungen akzeptiert.[31] Waren sie hingegen Sektierer, wurden ihre Hadithe abgelehnt.“[32]

ʿAbdullāh b. al-Mubārak sagte: „Der Isnād gehört zur Religion. Gäbe es keinen Isnād, könnte jeder behaupten, was er will.“[33] Ferner berichtet ʿAlī b. Šaqīq, dass er ʿAbdullāh b. al-Mubārak vor einer Menschenmenge sagen hörte: „Akzeptiert nicht die Hadithe von ʿAmr b. Ṯābit, denn er beleidigte häufig die frühen Gelehrten!“[34] ʿAmr b. ʿAlī al-Fallās berichtet, dass Yaḥyā b. Saʿīd al-Qaṭṭān sagte: „Ich fragte Sufyān aṯ-Ṯaurī, Šuʿba, Mālik und Ibn ʿUyaina, was ich tun soll, wenn jemand nicht zuverlässig in der Hadithüberlieferung ist und ich nach ihm gefragt werde. Sie antworteten ihm: ‚Informiere ihn darüber, dass er nicht zuverlässig ist!‘“[35] Ähnlich berichtet ʿAbdullāh b. al-Mubārak: „Ich fragte Sufyān aṯ-Ṯaurī: ‚Es ist bekannt, wie es um ʿAbbād b. Kaṯīr[36] steht. Wenn er überliefert, nennt er Ungeheuerliches. Meinst du, ich soll den Leuten sagen, dass sie von ihm nichts akzeptieren sollen?‘, worauf Sufyān entgegnete: ‚Natürlich!‘“  ʿAbdullāh b. al-Mubārak sagte außerdem: „Befand ich mich in einer Sitzung, in der ʿAbbād [b. Kaṯīr] genannt wurde, lobte ich seine Frömmigkeit, merkte aber an: ‚Nehmt keine Überlieferungen von ihm an“[37]

Al-Ḥumaidī überliefert, dass Ibn ʿUyaina sagte: „Die Leute lernten von Ǧābir,[38] bis er seine Behauptungen kundtat. Als er sich öffentlich äußerte, beschuldigten ihn die Leute der Hadithfälschung. Einige von ihnen lehnten diese Hadithe ab.“ Er wurde daraufhin gefragt: „Was hat er kundgetan?“ Er antwortete: „Seinen Glauben an die Wiederkehr (von ʿAlī b. Abī Ṭālib).“[39]

Zakariyyā b. ʿAdī berichtet, dass Abū Ishāq al-Fizārī zu ihm sagte: „Schreibe die Hadithe von Ibn Baqiyya[40] auf, sollte er von den (für ihre Zuverlässigkeit) bekannten Überlieferern überliefern. Schreibe sie jedoch nicht auf, sollte er nicht von ihnen überliefern! Was Ismāʿīl b. ʿAyyāš[41] angeht, so schreibe seine Hadithe, die er von den (für ihre Zuverlässigkeit) bekannten Überlieferern berichtet, nicht auf, auch dann nicht, wenn er von anderen überliefert!“[42]

Ibn al-Mubārak sagte: „Hätte man mich damals vor die Wahl gestellt, in das Paradies einzutreten oder ʿAbdullāh b. Muḥarrar[43] begegnen zu können, hätte ich mich dafür entschieden, ihn erst anzutreffen und erst dann das Paradies zu betreten. Als ich ihn dann jedoch sah, war mir Kamelmist lieber als er.“[44]

Gleicherweise berichtet ʿUbaidullāh b. ʿAmr, dass Zaid b. Abī Unaisa über seinen Bruder sagte: „Nehmt nicht von meinem Bruder!“ ʿAbdullāh b. ʿAmr sagte: „Sein Bruder Yaḥyā b. Abī Unaisa war ein Lügner (Hadithfälscher).“[45]

Drittens: Reisen zur Hadithsammlung

Der Stellenwert der Sunna im Islam wurde bereits in der Einleitung erwähnt. Die Sunna ist eine Offenbarung von Allah, die unklare Stellen im heiligen Koran erklärt und genauer erörtert. Da die Sunna einen solch hohen Stellenwert im sunnitischen Islam besitzt, schenkten ihr die frühen Gelehrten höchste Beachtung, sie scheuten keine Mühe, um die Hadithe mit ihren Überlieferungsketten zu sammeln. Sie legten auf ihren Reisen zur Sammlung von Überlieferungen und der Erforschung der Überlieferungsketten trotz der damaligen Gefahren und Mühen große Entfernungen zurück. Sie taten dies in Anlehnung an folgenden Vers:

„Wenn doch von jeder Gruppe von ihnen ein Teil ausrücken würde, um (mehr) von der Religion zu erlernen und um ihre Leute zu warnen, wenn sie zu ihnen zurückkehren, auf dass sie sich vorsehen mögen.“[46]  

Zudem stützen sie sich auf diese Aussage des Propheten (ṣ): „Wer einen Pfad einschlägt, um Wissen zu erlangen, dem erleichtert Allah den Weg ins Paradies.“[47]

Das Reisen, um Hadithe zu sammeln, gehörte zum unerlässlichen Weg der Hadithgelehrten, auf diese Weise erlangten sie damals ihr Wissen. Dazu schreibt Ibn aṣ-Ṣalāḥ: „Nachdem einer die ʿAwālī (Hadithe mit möglichst kurzen Überlieferungsketten) und wichtigsten Werke in seiner Stadt gehört hat, soll er andere Orte bereisen (und so sein Wissen vertiefen).“[48]

Yaḥyā b. Maʿīn sagte: „Von Vieren brauchst du keine Besonnenheit erwarten: Vom Nachtwächter, dem Büttel des Richters, dem Sohn des Hadithgelehrten und demjenigen, der (Hadithe) in seiner Stadt niederschreibt und keine Reisen auf sich nimmt, um nach Wissen zu streben.“[49]

Einst wurde Imam Aḥmad b. Ḥanbal gefragt: „Soll man Reisen auf sich nehmen, um möglichst kurze Überlieferungsketten zu erlangen?“ Er antwortete: „Bei Allah, natürlich!  ʿAlqama und al-ʾAswad hörten von Hadithen über ʿUmar (r), doch gaben sie sich damit nicht zufrieden, sondern suchten ʿUmar auf, um diese Hadithe direkt von ihm zu hören.“[50]

Ibrāhīm b. Adham sagte: „Allah bewahrt die Umma gewiss vor Heimsuchungen aufgrund der Reisen, die die Leute des Hadith auf sich nehmen.“[51] Hier wird erneut ersichtlich, welche Auswirkungen die Bemühungen der frühen Gelehrten selbst auf unsere heutige Zeit haben und wir immer noch von ihnen profitieren.

ʿAbdullah der Sohn des Imam Aḥmad b. Ḥanbal sagte: „Ich fragte meinen Vater nach dem Wissensuchenden: Meinst du, er soll sich an eine wissende Person halten und von dieser (Hadithe) aufschreiben oder soll er weitere Orte der Gelehrsamkeit bereisen, um von den Gelehrten dort Hadithe zu hören? Er antwortete: ‚Er soll reisen und von den Bewohnern aus Kufa, Basra, Medina und Mekka Hadithe aufschreiben. Er soll sich kundig machen und von den Leuten Hadithe hören.‘“[52]

Die islamische Grundlage für Studienreisen

Der Beweis für die Rechtmäßigkeit derartiger Reisen ist die Reise des Propheten Mūsā zu al-Ḫaḍir. Seine Geschichte ist in der Sure al-Kahf erwähnt.

In der islamischen Geschichte begann die Reise zum Wissenserwerb mit dem Aufbruch der Delegationen arabischer Stämme, die den Gesandten Allahs (ṣ) aufsuchten. Sie kamen aus allen Teilen der arabischen Halbinsel, um bei ihm den Islam anzunehmen und von ihm die Offenbarung in Form des Korans und der Sunna zu lernen. Diese Reisen und Bemühungen waren für die Ṣaḥāba nach dem Tod des Gesandten Allahs (ṣ) von großer Bedeutung. Auch nachdem sich die Muslime mit der Ausbreitung des muslimischen Staates regional verteilten, blieb das Reisen zur Wissensaneignung eine ehrenvolle Unternehmung. So reiste Ǧābir b. ʿAbdillāh in die Levante zu ʿAbdullāh b. Unais, um von ihm einen einzigen Hadith zu hören, da nur noch er diesen Hadith kannte.[53] Diese Reise nahm einen Monat in Anspruch.[54] Auch Abū Ayyūb al-Anṣārī verreiste aus diesem Grund, er begab sich auf den Weg nach Ägypten, um ʿUqba b. ʿĀmir aufzusuchen. Als er ihn antraf, sagte er: „Berichte uns darüber, was du vom Gesandten Allahs (ṣ) über das Decken von Fehlern von Muslimen gehört hast! Außer dir und mir ist keiner mehr übriggeblieben, der es von ihm (dem Propheten) gehört hat.“ Nachdem er ihm den Hadith berichtete, stieg Abū Ayyūb al-Anṣārī sogleich auf sein Reittier und kehrte nach Medina zurück, ohne sich unterwegs aufzuhalten.[55]

Diese Reisen setzten sich im Zeitalter der Tabiʿīn, der Schüler der Prophetengefährten, fort. Die Prophetengefährten waren aufgrund der Eroberungen in zahlreichen Ländern verstreut und trugen das Erbe der Propheten (ṣ) mit sich. Es war eine Herausforderung, in jene Länder zu reisen und die verstreuten Gefährten aufzusuchen, um die Hadithe des Gesandten Allahs (ṣ) zu überliefern.

Das Ausmaß der Strapazen jener Reisen sind in mehreren Aussagen der Reisenden erhalten. Aš-Šaʿbī überlieferte einer Person einen Hadith und sagte anschließend: „Wir gaben dir ihn (diesen Hadith) ohne Gegenleistung. Man ritt damals für Geringeres als dies bis nach Medina.“ So berichtet auch der Imam Saʿīd b. al-Musayyib: „Ich reiste Tage und Nächte, um auch nur einen einzigen Hadith zu erlernen.“[56] Abū ʿĀliya ar-Rayyāḥī sagte dazu: „Wir hörten in Basra Überlieferungen über die Gefährten des Gesandten Allahs (ṣ) doch waren wir erst zufrieden, als wir nach Medina ritten und sie direkt aus ihren Mündern hörten.“[57] Weiter heißt es in einer Überlieferung von Bišr b. ʿAbdillāh al-Ḫaḍramī: „Um nur einen einzigen Hadith zu hören, reiste ich von weit her nach Ägypten.“ ʿĀmir aš-Šaʿbī sagte: „Keiner der Gefährten Ibn Masʿūds war bestrebter im Erlangen von Wissen, das sich an entlegenen Orten befand, als Masrūq.“[58]

Die Gründe für die Reise

Es gibt viele Gründe für Hadithstudienreisen, zu deren wichtigsten folgende zählen:

  • Generation der Ṣaḥāba: Der Anlass einer Reise bestand darin, einen Hadith zu hören, den der Prophetengefährte vom Gesandten Allahs (ṣ) nicht gehört hat, oder um sich zu vergewissern, ob er sich den Hadith richtig gemerkt hatte. Wenn in seiner Stadt niemand außer ihm diesen bestimmten Hadith direkt überlieferte, machte er sich auf den Weg zu dem, der ihn ebenfalls bewahrte, selbst wenn er deswegen einen einmonatigen Fußmarsch auf sich nehmen musste.
  • Generation der Tābiʿīn: Die Ṣaḥāba waren in mehreren Ländern verstreut, jeder von ihnen tradierte Wissen aus dem Erbe der Propheten (ṣ). Da ihr Wissen benötigt wurde, reisten die Schüler der Prophetengefährten zu ihnen.

Nach diesen beiden Generationen kamen weitere Gründe zum Vorschein, wie etwa:

  • Das Auftreten der Hadithfälschung: Dies war der Fall, als Sekten an Zulauf gewannen und deren Anhänger Hadithe erfanden, die ihre Dogmen stützten, indem sie diese Aussagen dem Gesandten (ṣ) zuschrieben. Aus diesem Grund wurden die Gelehrten tätig, indem sie Reisen auf sich nahmen, um Überlieferungen zu überprüfen und zu eruieren, woher sie stammten und auf wen sie zurückgehen.
  • Die Bemühung um kurze Überlieferungswege: Nach kurzen Überlieferungsketten zu streben war ein Grund für Reisen, wie der Imam Aḥmad sagte: „Das Streben nach kurzen Überlieferungswegen ist die Sunna der vorigen Generationen.“[59]

Al-Ḫaṭīb al-Baġdādī schreibt: „Zwei Dinge werden mit dem Reisen zur Hadithsuche beabsichtigt:

Erstens: Das Erlangen kurzer Überlieferungswege und das unmittelbare Überliefern.

Zweitens: Um die großen Hadithüberlieferer zu treffen, mit ihnen gemeinsam zu wiederholen und von ihnen zu profitieren.“[60]

Bekannte Beispiele für diese beiden Gründe sind folgende:

  • Muʾammal b. Ismāʿīl sagte: „Ein vertrauenswürdiger Überlieferer berichtete mir von den Vorzügen der Koransuren, die von ʾUbayy ibn Kaʿb überliefert wurden. Ich fragte den Scheich: ‚Wer hat dir das berichtet?‘ Er antwortete: ‚Ein Scheich aus Wāsiṭ, der noch lebt.‘ Ich begab mich zu ihm und er fragte ihn, woher er dies hatte, er antwortete: ‚Mir berichtete dies ein Scheich aus Basra.‘ So begab ich mich zu ihm. Er sagte: ‚Mir berichtete dies ein Scheich aus Bagdad.‘ Als ich ihn antraf, nahm er meine Hand und führte mich in ein Haus. Plötzlich erblickte ich eine Menschenmenge der Sufis und einen Scheich. Er sagte: ‚Dieser Scheich berichtete mir dies.‘ Ich rief: ‚O Scheich! Wer hat dir dies berichtet?‘ Er entgegnete: ‚Niemand, vielmehr haben wir bemerkt, wie sich die Menschen vom Koran abwendeten. So erfanden wir Hadithe, damit sie sich dem Koran zuwenden.‘‘‘[61]
  • Der Ḥāfiẓ Ibn Ḥibbān überliefert[62] von […] ʾAbū Naṣr Ibn Ḥammād al-Warrāq al-Baġdādī, dass dieser sagte: „Wir standen einst an der Tür von Šuʿba b. Ḥaǧǧāǧ, damals waren Leute bei uns, die die Sunna (Hadithe) gemeinsam wiederholten. Ich sagte: ‚ʾIsmāʿīl berichtete mir von Abū Ishāq von ʿAbdullāh b. ʿAṭāʾ von ʿUqba b. ʿĀmir, dass der Prophet (ṣ) sagte: »Wer sich gründlich zum Gebet wäscht, kann sich aussuchen, durch welches Paradiestor er eintreten möchte.«‘ Während ich diesen Hadith berichtete, kam Šuʿba heraus. Er klopfte mir mit der flachen Hand auf die Schulter und rief: ‚O du Verrückter! Hast du gehört, dass Abū Ishāq von ʿAbdullāh b. ʿAṭāʾ von ʿUqba b. ʿĀmir berichtet?‘ Ich fragte: ‚O Abū Ishāq! Hast du ʿAbdullāh b. ʿAṭāʾ von ʿUqba b. ʿĀmir berichten hören?‘ Er antwortete: ‚Ich habe von ʿAbdullāh b. ʿAṭā Hadithe gehört.‘ Ich fragte: ‚Hat ʿAbdullāh b. ʿAṭāʾ von ʿUqba b. ʿĀmir Hadithe gehört?‘ Er erwiderte: ‚Sei still!‘ Ich entgegnete: ‚Ich werde nicht still sein.‘ Daraufhin wandte sich mir Misʿar b. Kidām zu und meinte: ‚O Šuʿba! ʿAbdullāh b. ʿAṭāʾ ist am Leben und befindet sich in Mekka.‘ So brach ich nach Mekka auf. Dort traf ich ʿAbdullāh b. ʿAṭāʾ an und fragte ihn nach dem Überlieferer des Hadiths über die Gebetswaschung. Er sagte: ‚(Von) ʿUqba b. ʿĀmir.‘ Ich sagte: ‚Allah erbarme Sich deiner! Hast du es von ihm gehört?‘ Er entgegnete: ‚Nein. Saʿd b. Ibrāhīm berichtete es mir.‘ So begab ich mich zu Mālik b. Anas, als er gerade beim Hadsch war und fragte ihn nach Saʿd b. Ibrāhīm. Er antwortete mir: ‚Dieses Jahr ist er nicht zum Hadsch.‘ Als ich meine Pilgerriten vollendet hatte, reiste ich weiter nach Medina. Dort traf ich Saʿd b. Ibrāhīm an und fragte ihn nach dem Hadith über die Gebetswaschung. Er meinte: ‚Bei euch ist sein Ursprung. Ziyād b. Miḫrāq berichtete ihn mir.‘ Mit schmutzigem Gewand, blass und doch voller Elan kam ich in Basra an und traf Ziyād b. Miḫrāq. Als er mich fragte, weshalb ich kam, berichtete ich ihm von dem Hadith. Er sagte: ‚Das ist nicht dein Ernst?‘ Ich wandte ein: ‚Doch, absolut.‘ Er erwiderte: ‚Nein, doch wenn du dich gewaschen und deine Kleider gewaschen hast und dann (zu mir) kommst, werde ich dir von dem Hadith berichten.‘ Ich wusch mich und meine Kleider und begab mich anschließend zu ihm. Sodann sagte er: ‚Dies berichtete mir Šahr b. Ḥaušab von Abū Raiḥāna.‘ Und so sagte ich schließlich: ‚Dieser Hadith hatte zu Beginn eine so kurze Überlieferungskette und nun ist sie plötzlich so lang! Zugrunde gehen soll er! Er hat keine Grundlage!‘“[63] So erwies sich nach langen Reisen und großen Bemühungen, dass dieser Hadith nicht authentisch ist.

Die Wichtigkeit dieser Reise und ihre Ziele

Die Reisen beeinflussten die Verbreitung der Hadithe und die Zahl ihrer Überlieferungswege maßgeblich. Darüber hinaus wirkten sie sich auf die detaillierte Kenntnis über die Überlieferer aus, da die Hadithgelehrten andere Länder bereisten, in denen sie die hiesigen Gelehrten kennenlernten, sich an sie wandten und über Überlieferer befragten. Aus diesen Gründen reisten Gelehrte auf der Suche nach Wissen im zweiten und dritten Jahrhundert in großem Umfang.

Das Werk Al-Muḥaddiṯ al-fāṣil baina ar-rāwī wa al-marwī des Hadithgelehrten ar-Rāmahurmuzī enthält eine Liste mit den Namen der Hadithgelehrten, die ferne Länder bereisten. Er unterteilt sie in Kategorien, indem zuerst diejenigen erwähnt, die „mehrere Länder bereisten“. Anschließend nennt er diejenigen, die „einen einzigen Ort bereisten, um die dortigen Gelehrten anzutreffen.“[64]

Zu den wichtigsten Orten, die Hadithgelehrte aufsuchten, gehörten: Medina, Mekka, Kufa, Basra, die arabische Halbinsel, die Levante, Yamama, Ägypten, Merw, Rey und Buchara, da sie als Zentren des Wissens galten und zahlreiche Gelehrten beherbergten.

Als Fazit sei die bereits erwähnte Aussage von Ibrāhīm b. Adham erwähnt: „Allah bewahrt die Umma gewiss vor Heimsuchungen, aufgrund der Reisen, die die Leute des Hadith auf sich nehmen.“[65]

* Dieser Beitrag ist ein Auszug aus Tadwīn as-Sunna von Prof. Dr. Muḥammad Maṭar az-Zahrāni. Es handelt sich hierbei um eine überarbeitete Übersetzung.

Endnoten:

[1] Diese Aufforderung kommt in diesem Wortlaut acht Mal im Koran vor, z. B. in der Sure al-Baqara 2:43, 83, 110 u. v. m.

[2] Zu den Gebetshaltungen: „[…] und steht demütig für Allah […]“ (2:238), „[…] und verbeugt euch […]“ (2:43), „O ihr Menschen, verbeugt euch und werft euch nieder […]!“ (22:77); zu den Gebetszeiten: „Verrichte das Gebet an den beiden Grenzen des Tages und zum Übergang in die Nacht […]“ (11:114), „Verrichte das Gebet zum Wechsel der Sonne bis zur Dunkelheit der Nacht! Und die Rezitation zur Morgendämmerung […]“ (17:78) „[…] und nach dem Nachtgebet […]“ (24:58). Allerdings enthalten auch diese Verse nur Andeutungen.

[3] Koran 16:44.

[4] Al-Buḫārī: aṣ-Ṣaḥīḥ, Hadith 631.

[5] Muslim: aṣ-Ṣaḥīḥ, Hadith 310.

[6] Al-Buḫārī: aṣ-Ṣaḥīḥ, Hadith 5866.

[7] Abū Dāwūd: as-Sunan, Hadith 650.

[8] Al-Buḫārī: aṣ-Ṣaḥīḥ, Hadith 89.

[9] Al-Buḫārī: aṣ-Ṣaḥīḥ, Nr. 88, 2052, 2640.

[10] Ibid. Nr. 314.

[11] Al-Buḫārī als Überschrift vor Nr. 78, al-adab al-mufrad Nr. 970, Musnad Aḥmad Nr. 16042.

[12] Al-Buḫārī: aṣ-Ṣaḥīḥ, Nr. 3461.

[13] Abū Dāwūd: as-Sunan, Nr. 3660, at-Tirmiḏī: al-Ǧāmiʿ, Nr. 5657–5658.

[14] Al-Buḫārī: aṣ-Ṣaḥīḥ, Hadith 107.

[15] Muslim: aṣ-Ṣaḥīḥ, Hadith 5.

[16] Musnad Aḥmad Nr. 18184, 18211, 18240.

[17] Ad-Dārimī: as-Sunan, Bd. 1, S. 67.

[18] Ibn Māǧah: as-Sunan, Hadith 24: Ad-Dārimī: as-Sunan, Bd. 1, S. 73.

[19] Ad-Dārimī: as-Sunan, Bd. 1, S. 72.

[20] Ibid., Bd. 1, S. 49.

[21] Ibn Māǧah: as-Sunan, Hadith 29: Ad-Dārimī: as-Sunan, Bd. 1, S. 73.

[22] Ibn Māǧah: as-Sunan, in seinem Vorwort.

[23] Al-Buḫārī: Nr. 7096, Muslim: Nr. 144.

[24] Sabīġ b. ʿIsl begann damit, in Ägypten mehrdeutige Verse im Koran umzudeuten und zu kritisieren. Der Statthalter Ägyptens schickte ihn deswegen zu ʿUmar, der ihn deswegen bestrafte und verbot, dass er seine Lehren verbreitet. Vgl. Ibn Kaṯīr: Tafsīr al-qurʾān al-ʿaẓīm, Bd. 7, S. 39 zu Beginn der Sure 51, Ibn Ḥaǧar: al-Iṣāba fī tamyīz aṣ-ṣaḥāba, Bd. 5, S. 38, ad-Dārimī: as-Sunan, Nr. 146.

[25] Vgl. Al-Ḫaṭīb al-Baġdādī: Taqyīd al-ʿilm, S. 51.

[26] ʿAbdullāh b. Sabaʾ gilt als Anführer der Aufwiegler gegen ʿUṯmān. Er behauptete als erster, dass ʿAlī göttlich sei und nach seinem Tod wieder zurückkommen werde. Diese Dogmen sind auch bei extremen Schiiten zu finden. Einige Schiiten lehnen die Existenz dieser Person ab, obwohl frühe schiitische Quellen ihn ebenfalls erwähnen (s. Ibn Hilāl aṯ-Ṯaqafī in al-Ġārāt, S. 302, al-Qummī in al-Maqālāt wa al-firaq, an-Naubaḫtī in Firaq aš-šīʿa u. v. m.).

[27] Mehr Details zu diesem Thema erscheinen in einem gesonderten Artikel.

[28] Muslim: Vorwort zu Ṣaḥīḥ Muslim, Bd. 1, S. 8.

[29] Ibid., Bd. 1, S. 12-13.

[30] Ibid.

[31] Unter der Voraussetzung, dass die Tradenten verlässlich sind, es wurden nicht alle Überlieferungen von Sunniten kritiklos übernommen.

[32] Ibid., Bd. 1, S. 15.

[33] Ibid., Bd. 1, S. 16.

[34] Ibid.

[35] Ibid.

[36] Ein sehr schwacher, inakzeptabler Überlieferer, gest. um 140 n. H. Abū Dāwūd überliefert von ihm nur einen Hadith (Nr. 2339), in dem er ihn lediglich in einem Überlieferungsanlass erwähnt. Ibn Māǧah überliefert von ihm drei Hadithe (Nr. 1426, 2602, 3949) und sie sind die einzigen Überlieferungen in den sechs kanonischen Werken von ʿAbbād.

[37] Muslim: Vorwort zu Ṣaḥīḥ Muslim, Bd. 1, S. 17.

[38] Ǧābir al-Ǧuʿfī, gest. um 127 n. H., ein schiitischer Überlieferer, der als Hadithfälscher bekannt ist.

[39] Muslim: Vorwort zu Ṣaḥīḥ Muslim, Bd. 1, S. 20.

[40] Baqiyya b. al-Walīd, gest. 197 n. H., er gilt zwar als zuverlässig, verschweigt aber häufig, dass er Hadithe von schwachen Tradenten überliefert.

[41] Ismāʿīl b. ʿAyyāš, gest. 181 n. H., er hatte ein ausgeprägtes Gedächtnis, war aber nur zuverlässig, wenn er von den Gelehrten aus Homs überlieferte.

[42] Muslim: Vorwort zu Ṣaḥīḥ Muslim, Bd. 1, S. 25.

[43] ʿAbdullāh b. Muḥarrar, gest. in der Regierungszeit des abbasidischen Kalifen Abū Ǧaʿfar al-Manṣūr. Er ist inakzeptabler Überlieferer und kommt in den sechs kanonischen Werken nur bei Ibn Māǧah in einem einzigen Hadith vor (Nr. 2099).

[44] Muslim: Vorwort zu Ṣaḥīḥ Muslim, Bd. 1, S. 27.

[45] Ibid.

[46] Koran 9:122.

[47] Muslim: Aṣ-Ṣaḥīḥ, Hadith 2699.

[48] Ibn aṣ-Ṣalāḥ: Maʿrifat anwāʿ ʿulūm al-ḥadīṯ, S. 143 (28. Kapitel: Kenntnis des Benehmens beim Hadithstudium).

[49] Al-Ḥākim: Maʿrifat ʿulūm al-ḥadīṯ, S. 9; al-Ḫaṯīb al-Baġdādī: ar-Riḥla fī ṭalab al-ḥadīṯ, S. 89. Zum „Sohn des Hadithgelehrten“: Viele Gelehrte erwähnen, dass die Familie eines Gelehrten in der Regel am wenigsten vom Gelehrten lernt. Und so sind die Söhne der Hadithgelehrten meist keine Spezialisten auf diesem Gebiet und können ihren Eltern nicht das Wasser reichen.

[50] Al-Ḫaṯīb al-Baġdādī: Ar-Riḥla fī ṭalab al-ḥadīṯ, S. 179.

[51] Al-Ḥākim: Maʿrifat ʿulūm al-Ḥadīṯ, S. 222-223; al-Ḫaṯīb al-Baġdādī: ar-Riḥla fī ṭalab al-ḥadīṯ, S. 89.

[52] Al-Ḫaṯīb al-Baġdādī: ar-Riḥla fī ṭalab al-Ḥadīṯ, S. 88.

[53] Gemeint ist, dass er der einzige Überlebende war, der diesen Hadith noch direkt vom Propheten (ṣ) überlieferte.

[54] Al-Ḫaṯīb al-Baġdādī: ar-Riḥla fī ṭalab al-Ḥadīṯ, S. 109-118.

[55] Ibid., S. 188; Ibn ´Abdil-Barr: Ǧāmiʿu bayāni al-ʿilmi wa faḍlih, Bd. 1, S. 93-94.

[56] Ibn ʿAbdil-Barr: Ǧāmiʿ bayān al-ʿIlm wa faḍlih, Bd. 1, S. 94; Ibn Saʿd: aṭ-Ṭabaqāt al-kubrā, Bd. 5, S.120.

[57] Abū Muḥammad ad-Dārimī: as-Sunan, Hadith 570.

[58] Al-Ḫaṯīb al-Baġdādī: al-Kifāya fī maʿrifat uṣūl ar-riwāya, S. 402; Ibn ʿAbdil-Barr: Ǧāmiʿ baiān al-ʿIlm wa faḍlih, Bd. 1, S. 94.

[59] Ibn aṣ-Ṣalāḥ: Maʿrifat anwāʿ ʿulūm al-ḥadīṯ, S. 231.

[60] Al-Ḫaṭīb al-Baġdādī: al-Ǧāmiʿ li-ʾaḫlāq ar-rāwī, Bd. 2, S. 233.

[61] Al-Ḫaṭīb al-Baġdādī: Al-Kifāya fī maʿrifat uṣūl ar-riwāya, S. 401; Ibn al-Ǧauzī: Al-Mauḍūʿāt, Bd. 1, S. 241-242.

[62] Ibn Hibbān: Al-Maǧrūḥīn, Bd. 1, S. 28-29.

[63] Vgl. Ibn ʿAbd al-Barr: At-Tamhīd, Bd. 1, S. 48-51.

[64] Al-Ḥāfiẓ ar-Rāmahurmuzī: Al-Muḥaddiṯ al-fāṣil, S. 229-233.

[65] Al-Ḥākim: Maʿrifat ʿulūm al-ḥadīṯ, S. 222-223; Al-Ḫaṯīb al-Baġdādī: Ar-Riḥla fī ṭalab al-ḥadīṯ, S. 89.

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