Der orientalistische Ansatz
Abstract
Im Folgenden finden Sie die Übersetzung eines Auszuges der zweiten Auflage des Buches Hadith: Muhammad’s Legacy in the Medieval and Modern World (Oneworld, 2017) von Prof. Dr. Jonathan A.C. Brown. Dieser Auszug soll die Einleitung des Kapitels über die westliche Erforschung der Hadithtradition darstellen.
Hinweis: Dieser Auszug wurde aufgrund seiner Länge in mehrere Abschnitte eingeteilt. Um sich einen lückenlosen Überblick über die westliche Hadithforschung zu verschaffen, sei dem Leser empfohlen, die Abschnitte nacheinander und ohne Unterbrechung zu lesen.
Dieser Teil stellt den zweiten Abschnitt dar.
Frühislamische Geschichte
Im Gegensatz zu den Muslimen, die eine eigenständige und unabhängige Wissenschaft der Hadithe entwickelten, haben westliche Gelehrte Hadithe als Teil einer breiten angelegten Untersuchung der frühislamischen Geschichte und der Ursprünge der Religion studiert. Wir können diese Studien in drei allgemeine Bereiche einteilen, die alle die Zuverlässigkeit der Hadithliteratur berühren: die frühe islamische politische und sektiererische Geschichte, die Ursprünge des Korans und die Ursprünge des islamischen Rechts. In der westlichen Erforschung des frühen Islams und der Authentizitätsfrage lassen sich vier chronologisch oder thematisch unterschiedliche Phasen unterscheiden:
1. Der orientalistische Ansatz: die anfängliche Anwendung der Historisch-Kritischen Methode auf die frühislamische Geschichte, die viele Merkmale der traditionellen islamischen Rechts- und Geschichtsnarrative in Frage stellt, aber ihre allgemeine Struktur akzeptiert.
2. Die Philo-islamische Rechtfertigung: die Argumente einiger im Westen ausgebildeter nicht-muslimischer und muslimischer Gelehrter, die auf die orientalistische Kritik an Hadithen reagieren.
3. Der revisionistische Ansatz: Seit den späten 1970er Jahren wandte dieser Ansatz die kritischen Annahmen des orientalistischen Ansatzes auf einer allumfassenderen Ebene an und stellte die Narrative der frühen islamischen Geschichte und die Ursprünge des Korans und des islamischen Rechts in Frage.
4. Die westliche Neubewertung: Dieser seit den 1980er Jahren existierende Ansatz lehnt die Extreme des revisionistischen Ansatzes ab und setzt die Kritik an der frühislamischen Periode nach der Historisch-Kritischen Methode fort. Diese Ablehnung hat dazu geführt, dass einige westliche Gelehrte erkannt haben, dass die orientalische Methode einige fragwürdige Annahmen beinhaltet, aber auch dass die muslimische Hadithtradition viel ausgefeilter ist als bisher angenommen.
Die historisch-kritische Methode und der matn: Goldzihers revolutionäre Kritik des Hadiths
Einer der ersten westlichen Schriftsteller, der die Verlässlichkeit des Hadith-Korpus als Quelle für Mohammeds Leben und Taten in Frage stellte, war der Schotte William Muir (gest. 1905), der als Kolonialverwalter und Erzieher in Britisch-Indien tätig war. In seinem Life of Mohamet (1861) lehnt er den Hadith-Korpus als eindeutig voreingenommen und unzuverlässig ab. Hadithe förderten lediglich den muslimischen „Chor des Ruhmes für Mohammad“ sowie die politischen, sektiererischen und wissenschaftlichen Ambitionen der frühen muslimischen Gemeinde.[1] Nur der Koran war eine zuverlässige Quelle für die Lehren des Propheten (ṣ), behauptet Muir. Obwohl er der Meinung ist, dass „europäische Kritiker“ mindestens die Hälfte des Materials in Ṣaḥīḥ al-Buḫārī ablehnen müssen, gibt Muir zu, dass einige Hadithe als zuverlässig angesehen werden können. Dazu gehören Hadithe zu Themen, über die unabhängige Berichte im Allgemeinen übereinstimmen, ebenso wie Hadithe, die den Propheten (ṣ) in ein unschönes Licht rücken (ein Beispiel für das Principle of Dissimilarity).[2] Er stellt auch fest, dass die klassische Hadith-Kritik nutzlos war, weil sie sich nur auf die isnād und nicht auf den Inhalt der Hadithe selbst konzentrierte.[3] Obwohl wir bei Muir die Anwendung der Historisch-Kritischen Methode auf die Hadithliteratur sehen, war es der Ungar Ignaz Goldziher (gest. 1921), der diese in größerem Umfang und mit mehr akademischer Strenge anwendete.
Getreu der deutschen Geschichtsschule näherte sich Goldziher den Textquellen der frühislamischen Geschichte und Denkweise mit ‚skeptischer Vorsicht‘. Die Tatsache, dass es keine historische Dokumentation über das Leben des Propheten (ṣ) in seiner eigenen Zeit gab, und dass Material über ihn durch das sehr flexible Medium der mündlichen Überlieferung übermittelt wurde, bedeutete, dass Hadithe nicht als dokumentarische Beweise angesehen werden konnten. Sie waren in hohem Maße der Fälschung und Manipulation ausgesetzt.
Wie Valla und die deutschen Bibelwissenschaftler waren die kritischen Schlüssel, die Goldziher benutzte, um aus falschen Berichten über den Propheten (ṣ) die Wahrheit herauszufinden, Anachronismus und das Prinzip der Analogie; Hadithe, die Konflikte und Bedenken anzusprechen schienen, die erst nach dem Tod des Propheten (ṣ) auftauchten, müssen Propaganda sein, die von den an diesen Konflikten beteiligten Parteien geschaffen wurde, nicht die eigentlichen Worte des Propheten (ṣ). Folglich beweisen die Inhalte vieler Hadithe nicht nur, dass sie gefälscht wurden, sondern sie erlauben es dem Historiker auch, zu bestimmen, wer sie wann gefälscht hat.[4] Für Goldziher dienen Hadithe also nicht als Dokument des tatsächlichen Vermächtnisses des Propheten (ṣ), sondern vielmehr als „direkte Widerspiegelung der Bestrebungen der islamischen Gemeinschaft“[5].
Goldziher stellt fest, dass die Autorität des Propheten (ṣ) sofort sowohl überzeugend als auch anziehend auf die Muslime wirkte. Er kommt zu dem Schluss, dass die begrenzte Niederschrift der Hadithe ein sehr früher Prozess war, aber gerade die Macht des Propheten (ṣ) als Vorbild bedeutete, dass die Muslime auch die Manipulation der Hadithe für ihre eigenen Zwecke schnell als unwiderstehlich empfanden.[6] Die Tatsache, dass der Prophet (ṣ) Kenntnis von zukünftigen Ereignissen gehabt haben konnte, diente als Lizenz für den Anachronismus unter den frühen Hadithe-Fälschern. Die Ereignisse, die sich in der entstehenden muslimischen Gemeinschaft abspielten, konnten „beschrieben“ oder „beurteilt“ werden, indem man Aussagen dem Propheten (ṣ) zuschrieb, der von Gott darüber informiert worden war.[7] (Der in Kapitel 3 untersuchte Hadith über die Qadariten ist ein Beispiel dafür).
Goldziher legt vier Hauptstadien und Motivationen für die Fälschung von Hadithen durch Muslime während der ersten dreihundert Jahre des Islam dar: politische, juristische, sektiererische und kommunale/historische Agenden. Für Goldziher war die ursprüngliche und stärkste Motivation für die Fälschung von Hadithen die Politik. Insbesondere argumentiert er, dass viele Hadithe und die Natur der frühen Hadithtradition insgesamt keinen Zweifel daran lassen, dass die Umayyaden-Dynastie ein Programm politischer Propaganda verfolgte, in dem die Hadithe-Fälschung eine wichtige Rolle spielte.
Anders als die muslimische Gemeinschaft zu Lebzeiten des Propheten (ṣ) und die frommen Bewohner Medinas nach seinem Tod war die Herrschaft der Umayyaden aus Syrien nach Goldzihers Ansicht völlig säkular und ohne inhärente islamische Legitimität.[8] Die Umayyaden arrangierten also die Fälschung von Hadithen, die ihre Herrschaft und ihre politische Praxis legitimierten. Goldziher argumentiert zum Beispiel, dass während des zweiten Bürgerkriegs (680-92), als der Feind der Umayyaden ʿAbdullāh b. az-Zubayr (gest. 73/692) die Kontrolle über Mekka und die Pilgerrouten hatte, die Umayyaden einen Hadith verbreiteten, der die Muslime drängte, „die Sättel nicht von ihren Bergen zu entfernen [mit anderen Worten: zu besuchen], außer in drei Moscheen“, der Haram-Moschee in Mekka, der Prophetenmoschee in Medina und der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem. Goldziher schlussfolgert, dass dieser Hadith ein Versuch war, einen alternativen jährlichen Pilgerort in dem von den Umayyaden kontrollierten Gebiet in Palästina zu etablieren.[9] Als die Kalifen der Umayyaden majestätischer vor der Gemeinde erscheinen wollten, indem sie beim Freitagsgebet sitzend Predigten hielten, erfanden Angestellte der Dynastie einen Hadith, der besagte, dass der Prophet (ṣ) seine Predigten im Sitzen gehalten hatte.[10]
Die Umayyaden waren in der Lage, diese Hadithe erfolgreich zu erfinden und zu verbreiten, argumentiert Goldziher, weil sie die frühe Sammlung von Hadithen im Allgemeinen förderten und sponserten. Goldziher weist darauf hin, dass der frühe Dreh- und Angelpunkt der Hadithsammlung in den Hedschas und in Syrien, al-Zuhrī, als Lehrer für die umayyadischen Fürsten und als Richter für den Staat diente. Er trug sogar die Uniform des umayyadischen Militärs. Goldziher findet es daher nicht überraschend, dass al-Zuhrī im isnād des oben erwähnten Hadith der drei für einen Besuch geeigneten Moscheen erscheint.[11] Er stellt fest, dass viele andere frühe Hadith-Meister, wie aš-Šaʿbī al-Ḥimyarī (gest. 103-10/721-8), ebenfalls mit dem umayyadischen Gericht in Verbindung gebracht wurden. Er schlägt vor, dass das Studium der Hadithe zu einem großen Teil auf das Interesse der Umayyaden an politischer Propaganda zurückzuführen ist.
Genauso wie politische Angelegenheiten die Fälschung von Hadithen in der umayyadischen Zeit angetrieben haben, so Goldziher weiter, haben sie auch unter den Abbasiden weiterhin zur Fälschung motiviert. Im Gegensatz zu den ‚säkularen‘ Umayyaden war der Abbasidenstaat auf einer religiösen Botschaft aufgebaut: der Rückkehr der Herrschaft in die Familie des Propheten (ṣ), des Korans und der Sunna.[12] Er argumentiert, dass unter der Herrschaft der Umayyaden viele der in ihren neu eroberten Reichen lebenden Muslime nur sehr wenig über die rituellen und rechtlichen Einzelheiten ihrer Religion wussten.[13] Unter der Schirmherrschaft der Abbasiden mussten die frommen Religionsgelehrten, deren Stimmen während der Umayyadenzeit gedämpft worden waren, eine umfassende rechtliche, dogmatische und gemeinschaftliche Vision für das neue islamische Reich erarbeiten. Erst unter den Abbasiden wurde die Sunna des Propheten (ṣ) als Norm für alle Lebensbereiche angesehen, und die Hadithe begannen, im Religionsrecht verwendet zu werden.[14]
Da der Koran sehr wenig Rechtsmaterial enthielt, mussten diese muslimischen Gelehrten zu anderen Mitteln greifen, um das islamische Recht zu konstruieren. Die Anhänger der Vernunft (ahl al-ra’y) wandten sich dem Erbe des römischen Provinzrechts zu, wo beispielsweise Goldziher behauptet, dass Muslime die Vorstellung erwarben, dass sich ein Angeklagter in einem Fall durch Eidesleistung von der Anklage befreien kann. Was die Anhänger des Hadith (ahl al-hadīth) betrifft, „war der von ihnen eingeschlagene Weg ein weniger ehrlicher.“ Sie erfanden ganze Schwaden von Hadithen zu Fragen des islamischen Rechts und Dogmas, um das Rohmaterial für ihre Konstruktion der islamischen Tradition zu liefern. Da die Abbasiden solche Aktivitäten förderten, schließt er: „Man kann sich vorstellen, wie sehr die Erfindung von Hadithen unter diesen Umständen florierte“. Zusätzlich zur Fälschung einer großen Anzahl von Hadithen behauptet Goldziher, dass die Anhänger der Abbasiden-Ära des Hadith auch das System der Hadith-kritik im großen Stil erfunden haben, um alle Hadithe zu widerlegen, die ihre Gegner in Debatten gegen sie verwenden könnten.[15]
Wie die Umayyaden erfanden auch die Abbasiden und ihre Anhänger Hadithe, um ihre Herrschaft zu legitimieren. Zu einem Hadith, in dem der Prophet (ṣ) die Kriegsbeute an seinen Clan abgibt, die Banū Hāšim, von der die Abbasiden ihre Abstammung behaupteten, während sie keine an die Banū ʿAbd Šams, den Clan der Umayyaden, abgibt, bemerkt Goldziher, dass der „dynastisch-legitimistische Charakter dieser Hadith offensichtlich ist.“[16]
Während der gesamten frühislamischen Zeit, so behauptet er, erfanden auch fromme Muslime Hadithe, die es ihnen ermöglichten, den Aufruhr und die Auseinandersetzungen, die ihre Gemeinschaft umhüllen, zu verstehen. So finden wir den Hadith, in dem der Prophet (ṣ) sagt, dass seine die beste aller Generationen ist und dass alle nachfolgenden Generationen immer weiter von seinem goldenen Zeitalter abweichen werden.[17] Diese frommen Gelehrten erfanden ebenfalls Hadithe, die zum politischen Quietismus aufforderten – eine Sache, die zweifellos von der Regierung unterstützt wird – mit Hadithen wie „Selig ist, wer öffentliche Überspannungen vermeidet (inna as-saʿīd man ǧunniba al-fitan).“[18]
Das Erfinden von Hadithen wurde für Religionsgelehrte zu einer Möglichkeit, den Verlauf der Geschichte des Islams zu erzählen und seine Zukunft durch die Worte des Propheten (ṣ) vorherzusagen. Goldziher erklärt, dass die Anhänger der Hadithe „sich keineswegs zurückhalten, wenn sie den Propheten (ṣ) über die allgemeine Entwicklung des islamischen Reiches sprechen lassen“. Daher finden wir Hadithe, die beschreiben, wie der Prophet (ṣ), während er den Verteidigungsgraben um Medina ausgrub, Visionen von den fernen Burgen Syriens und Persiens sah, die die Muslime erobern würden.[19]
Natürlich bemerkte Goldziher, wie strengere sektiererische Konflikte auch zur Fälschung einer großen Zahl von Hadithen führten.[20] Schiiten, die beweisen wollten, dass „ʿAlīs Anspruch auf Führung den Hadith von Ghadīr Khumm erfand, in dem der Prophet (ṣ) seinen Gefährten verkünden soll, dass ‚Wer auch immer der Meister ist, der ich bin, Alī ist sein Meister‘.“ Die Sunniten konterten, indem sie exakte Gegenstücke zu solchen Hadithen erfanden, die Abū Bakr oder ʿUmar statt ʿAlī enthielten, oder indem sie Berichte in Umlauf brachten, die betonten, dass der Prophet (ṣ) tatsächlich überhaupt keinen Bestrebungen gemacht hatte, einen Nachfolger zu bestimmen.[21] Er identifizierte auch einige weniger idealistische Motive für das Erfinden von Hadithen. Einzelne Städte, Stämme und Rechtsschulen würden chauvinistische Hadithe erfinden, in denen der Prophet (ṣ) ihre Bedeutung vorhersagen oder bekräftigen würde.[22]
Da Goldzihers Werk die Grundlage für die spätere westliche Kritik an Hadithen bildet, müssen wir anhalten, um einige seiner Annahmen zu untersuchen. Wie wir bei der deutschen Schule der historischen Kritik gesehen haben, vertritt Goldziher eine mit Skepsis ausgeprägte Haltung gegenüber der orthodoxen muslimischen Erzählung der islamischen Geschichte. Sie ist weder von Gottes Willen geprägt noch immun gegen die profanen Beweggründe, die den Menschen überall plagen. Die frühe muslimische Gemeinschaft war kein moralisch aufrechtes Gemeinwesen, sondern eine Reihe von eigennützigen Parteien, die die Autorität des Propheten (ṣ) zu ihrem Vorteil ausnutzten. Seinen Überlegungen liegt die kritische Annahme zugrunde, dass ein Hadith, wenn er den Zwecken einer Gruppe dient, von dieser Gruppe erfunden wurde. Dies ist besonders klar, wenn der Hadith einen gewissen Anachronismus enthält.
Seine Bereitschaft, sich der Skepsis hinzugeben, ist entscheidend für seine Schlussfolgerungen über die Hadithtradition. Goldziher beschreibt die Hadithaktivität des frühen Überlieferers ʿAbdurraḥmān b. Ḫālid und stellt zuversichtlich fest, dass „es vermutlich viele [seiner Hadithe] gibt, die den vorherrschenden politischen Tendenzen zugutekommen sollten, denn dieser ʿAbdurraḥmān war jahrelang ein wichtiger Beamter der umayyadischen Fürsten.“[23] Mit anderen Worten, die einfache Tatsache, dass ʿAbdurraḥmān als ein Funktionär der Umayyaden diente, bedeutete, dass er Hadithe erfunden haben musste, um die Anliegen der Umayyaden zu unterstützen. Weniger skeptische Gelehrte mögen sich mit dieser Argumentation nicht wohl fühlen, da eine Person für einen Staat oder ein Unternehmen arbeiten kann, ohne in dessen Namen zu lügen. In dem oben erwähnten Fall, dass der Prophet (ṣ) seinem Clan mehr von der Kriegsbeute gab als dem Umayyaden-Clan, warum sollten wir annehmen, dass dies nur deshalb gefälscht ist, weil es die umayyadenfeindliche Agenda der Abbasiden zu unterstützen scheint? Es ist nicht undenkbar, dass der Prophet (ṣ) seinem Clan tatsächlich den Löwenanteil der Beute zugestanden hat, zumal das Oberhaupt der umayyadischen Familie, Abū Sufyān, ein hartnäckiger Gegner des Islams in Mekka gewesen war.
Manchmal führt Goldzihers Vision der Hadithtradition als von Natur aus manipulativ und unzuverlässig zu Fehlinterpretationen von Beweisen. Als Beweis dafür, dass Hadithexperten aus der Abbasidenzeit Berichte zum Nutzen des Staates gefälscht haben, erörtert er den Fall von Ghiyāṯ b. Ibrāhīm, der einen Hadith erfand, in dem der Prophet (ṣ) das Aufziehen von Tauben für den Wettbewerb erlaubte, weil Ghiyāṯ wusste, dass der Abbasidenkalif al-Mahdī sie liebte. Goldziher kommt zu dem Schluss, dass der Kalif zwar die Fälschung bemerkt hat, „die Geschichte aber dennoch zeigt, wozu ein Hoftheologe in Sachen Tradition fähig war“.[24] Diese Geschichte findet sich jedoch nur in muslimischen Quellen als Lehrbuchbeispiel für die Sünde des Hadith-Fälschens. Sunnitische Hadith-Kritiker verunglimpften Ghiyāṯ b. Ibrāhīm als Fälscher und bezeichneten den Vorfall als ein Beispiel dafür, wie eine Person einen Hadith fälschte und wie das Netzwerk der Kritiker ihn sofort erwischten. Goldziher hingegen benutzt eine Geschichte, die eine Ausnahme illustrieren soll, um die Regel zu repräsentieren.
Goldzihers Untersuchung der Fälschung in der Hadithtradition führt jedoch zu einigen enormen Einsichten, wie fromme Muslime Lügen über ihren Propheten (ṣ) fabrizieren konnten. Er beschreibt, wie nach dem Tod des Propheten (ṣ) sogar seine Gefährten Hadithe fälschten, „von denen man annahm, dass sie mit seinen Gefühlen übereinstimmten und daher ihrer Ansicht nach legitimerweise ihm zugeschrieben werden konnten“[25]. Unter den Umayyaden und Abbasiden, so seine Vermutung, konnten Hadith-Gelehrte das Fälschen von Hadithen rechtfertigen, weil die Formulierung von Aussagen als die Worte des Propheten (ṣ) die Sprache war, in der die Autorität zum Ausdruck kam. ‚Der Zweck heiligt die Mittel‘. Die weit verbreitete Verbreitung von Hadithen, wie z.B. einer, in der der Prophet (ṣ) die Muslime anweist, dass, wenn sie einen Hadith hören, dessen Bedeutung mit dem Koran übereinstimmt, „dann ist es wahr, ob ich es gesagt habe oder nicht“, zeigen, dass einige Muslime keinen Konflikt bei der Bewahrung dessen fanden, was sie als legitime Bestandteile der Lehren des Propheten (ṣ) empfanden, indem sie ihm falsche Hadithe zuschrieben (Anmerkung: Muslimische Gelehrte hielten diesen Hadith für unzuverlässig oder gefälscht).[26]
Wie Muir, kam Goldziher zu dem Schluss, dass inhaltliche Kritik in der Arbeit der muslimischen Hadith-Kritiker keine erkennbare Rolle spielte. Selbst wenn der Text eines Hadithes mit verdächtigem Material vollgestopft ist, bemerkt er: „Niemand darf sagen: ‚weil der matn einen logischen Widerspruch oder eine historische Absurdität enthält, zweifle ich an der Richtigkeit des isnād.‘“ Daraus folgert er, dass ‚muslimische Kritiker kein Gefühl für die gröbsten Anachronismen haben, sofern der isnād richtig ist.[27] Goldzihers Schlussfolgerung, dass die inhaltliche Prüfung von Berichten kein Bestandteil der frühen Hadith-Kritik war, wurde von westlichen Gelehrten immer wieder aufgegriffen.
Datierung von Hadith-Fälschungen durch isnāde: Die Schule von Joseph Schacht
Goldziher hatte die europäische historisch-kritische Tradition in die Hadithliteratur eingebracht und war zu dem Schluss gekommen, dass eine bedeutende Anzahl von Hadithen, die die Muslime für authentisch hielten, tatsächlich als Teil der Ausdruck islamischer politischer, rechtlicher, dogmatischer und historischer Weltanschauungen gefälscht wurde. Die westliche Kritik an Hadithen wurde von einem deutschen Wissenschaftler namens Joseph Schacht (gest. 1969) auf eine neue Ebene gebracht, der auf Goldzihers Skepsis gegenüber der Zuverlässigkeit der Hadithliteratur aufbaute. Schacht kommt auch zu dem Schluss, dass man nicht davon ausgehen kann, dass Hadithe in irgendeiner Weise das Leben des Propheten (ṣ) tatsächlich beschreiben können.[28] Während Goldziher sich auf politische Propaganda und sektiererische Agenden konzentrierte, konzentrierte sich Schacht speziell auf die Funktion der Hadithe im islamischen Recht. Während Goldziher die mutūn der Hadithe benutzt hatte, um zu bestimmen, wann und warum sie gefälscht wurden, untersuchte Schacht die asanīd und die überzeitlichen Hadithe der Hadithsammlung und ihre Verwendung.
Juristische Hadithe, so Schacht, repräsentieren nicht die tatsächlichen Einzelheiten des Lebens des Propheten (ṣ). Vielmehr wurden sie dem Propheten (ṣ) von späteren Rechtsschulen zugeschrieben, um ihre Ansichten zu unterstützen.[29] Er stellt eine einfache Beobachtung fest, die seiner gesamten Kritik am Hadith-Korpus zugrunde liegt. Wenn wir uns zugegebenermaßen frühe muslimische wissenschaftliche Schriften ansehen, wie z.B. den Brief, den al-Ḥasan al-Baṣrī (gest. 110/728) an den umayyadischen Kalifen ʿAbd al-Malik (gest. 86/705) adressierte, der ihn davor warnte, eine prädestinäre Sichtweise anzunehmen, finden wir, dass al-Ḥasan die Hadithe nicht in seiner Argumentation heranzieht. Stattdessen stützt er sich auf den Koran und Geschichten früherer Propheten (ṣ).[30] Da sunnitische Hadithsammlungen reichlich Hadithe enthalten, die al-Ḥasan al-Baṣrī in seiner Abhandlung als Beweismittel hätte verwenden können, schließt Schacht, dass die Tatsache, dass er sie nicht in seiner Polemik verwendete, bedeutet, dass diese Hadithe zu der Zeit nicht existiert haben müssen.[31] Diese Art von Argumentation ist unter den Namen Argument e silentio oder ‚aus dem Schweigen‘ bekannt.
Schacht argumentiert, dass das ursprüngliche Studium und die Ausarbeitung des islamischen Rechts, das er als ‚die alten Rechtsschulen‘ bezeichnet, sich in Städten wie Kufa und Medina, um die Praxis dieser lokalen Gemeinschaft und die Meinungen ihrer hochrangigen muslimischen religiösen Figuren wie Abū Hanīfa, Mālik b. Anas und al-Layṯ b. Saʿd entwickelt hat. Die Sunna des Propheten (ṣ) war keine unmittelbar ausgezeichnete Quelle für das Recht. Debatten unter diesen Gelehrten verursachten jedoch eine Menge Streitigkeiten, weil keine dieser alten Rechtsschulen Argumente besaß, die ihre Gegner für überzeugend genug hielten, um ihnen zu folgen. Schacht kommt daher zu dem Schluss, dass die muslimischen Gelehrten dieser alten Schulen im späten achten und frühen neunten Jahrhundert versuchten, dieses Interpretationschaos aufzulösen, indem sie die rechtliche Rolle des Propheten (ṣ) und seiner Gefährten mehr Autorität gaben. Schacht assoziiert diesen Übergang mit aš-Šāfiʿī (gest. 204/820), dessen berühmte Risāla seine Kampagne dokumentiert, den Begriff der autoritativen Präzedenz (sunna) ausschließlich mit prophetischen Hadithen zu bestimmen.[32]
Gemäß Schachts Ansicht, manifestierte sich die Abkehr der Präzedenz von den zahlreichen Autoritätsfiguren wie den Gefährten und Nachfolgern hin zum Propheten (ṣ) selbst durch das ‚Nachwachsen‘ von isnāden. Schachts Argumentation war einfach und klar. Bücher, die aus den alten Rechtsschulen überlebten, wie z.B. Māliks Muwaṭṭaʾ, enthalten weit mehr Berichte von späteren Figuren als vom Propheten (ṣ) selbst.[33] Die nach aš-Šāfiʿī zusammengestellten Sammlungen, wie z.B. die kanonischen Sechs Bücher, konzentrierten sich jedoch unbestreitbar auf prophetische Berichte.[34] Darüber hinaus enthielten diese Sammlungen oft Berichte, die dem Propheten (ṣ) zugeschrieben wurden und die die Autoren früherer Hadithsammlungen Gefährten oder Nachfolgern zugeschrieben hatten. Ein Bericht im Muwaṭṭaʾ kann einem Gefährten zugeschrieben werden, während eine Generation später aš-Šāfiʿī denselben Bericht dem Propheten (ṣ) durch ein fehlerhaftes mursal-isnād zuschreibt (es besteht eine Lücke in dem isnād zwischen dem Propheten (ṣ) und der Person, die ihn zitiert). Zwei Generationen später, in der Ṣaḥīḥ von al-Buḫārī, finden wir denselben Hadith mit einem vollständigen isnād zum Propheten (ṣ).[35] Schacht behauptete, dass die prophetischen Versionen dieser Berichte eindeutig nach der Zusammenstellung von Werken wie der Muwaṭṭaʾ gefälscht worden seien, denn wenn sie früher existiert hätten, dann hätten Gelehrte wie Mālik sie ohne Zweifel in ihre Schriften aufgenommen, um ihre Gegner in juristischen Debatten zu übertrumpfen.[36]
Nach Schachts Ansicht war die Entwicklung des Rechts in den ersten Jahrhunderten des Islam also ein langsamer Prozess, in dem immer mehr bindende Quellen der Autorität für juristische oder die Doktrinen betreffende Maxime gefunden wurden. Aussagen von Nachfolgern waren die ältesten und damit historisch die korrektesten.[37] In den Debatten der frühen Rechtsgelehrten wurde das Problem konkurrierender Nachfolgeberichte jedoch dadurch gelöst, dass unaufrichtige Experten diese Aussagen der nächsthöheren Autoritätsstufe zuschrieben: den Gefährten des Propheten (ṣ). Wir sollten diese Berichte der Gefährten daher als historische Erfindungen behandeln.[38] In der Mitte des achten Jahrhunderts führte das Problem konkurrierender Berichte der Gefährten dazu, dass solche Aussagen auf den Propheten (ṣ) selbst zurückgeführt wurden. Aš-Šāfiʿī erwies sich als der größte Verfechter dieses totalen Vertrauens in die prophetischen Hadithe. Da die großen sunnitischen Hadithsammlungen fast ausschließlich aus Berichten des Propheten (ṣ) bestehen, muss ein Großteil ihres Materials nach der Zeit von aš-Šāfiʿī in Umlauf gebracht worden sein.[39] Schachts Schlussfolgerungen ergaben eine einfache Regel: Je weiter zurück der isnād und das Datum eines Hadithes geht, desto sicherer sollten wir uns seiner Erdichtung sein.[40]
Aber wie wissen wir, wer für das Nachwachsen eines isnād verantwortlich war und wann sie dem Propheten (ṣ) eine Aussage zugeschrieben haben? Für die juristischen Hadithe, die Schacht untersucht, stellt er die Theorie des Common Link auf (siehe Abbildung 9.0). Schacht bemerkt, dass für die Hadithe, die er für die Analyse ausgewählt hat, der Bericht bis zu einem bestimmten Punkt mehrere Generationen nach dem Propheten (ṣ) nur durch eine Kette übermittelt wird. Nach diesem Tradenten, den Schacht als ‚Common Link‘ bezeichnet, breitet sich der Hadith auf weitere Übertragungsketten aus. Da im achten Jahrhundert ein Prozess von isnāde rückläufig war, scheint es vernünftig anzunehmen, dass dieser Common Link für die Herstellung seines isnād zurück zum Propheten (ṣ) verantwortlich ist. Alles vor dem Common Link ist also erfunden, was erklärt, warum sich der Hadith erst nach ihm weit ausbreitete.[41]
Schacht fügt hinzu, dass zusätzlich zu der Rückentwicklung von isnāde, die zu einem massiven Anstieg der Anzahl der ‚Hadithe‘ führte, Juristen und Hadithgelehrten auch ‚parallele‘ isnāde schufen, um die Argumente der Mutaziliten abzuwenden, die den Gebrauch von Hadithen mit einer begrenzten Anzahl von Übertragungsketten ablehnten.[42] Um die stilistische Ungeschicklichkeit zu vermeiden, die eindeutig legalen Aussagen der frühen muslimischen Gelehrten in den Mund Mohammeds zu legen, erklärt Schacht, dass die Umstände und kontextuellen Details der legalen Hadithe hinzugefügt wurden, um ihnen ‚einen authentischen Touch‘ zu geben.[43]
Schachts Verständnis der frühislamischen Rechtstradition und seine Common Link-Theorie wurden zur dominierenden Vision der Hadithtradition unter den westlichen Gelehrten und haben enormen Einfluss ausgeübt. Dieser Ansatz wurde von dem niederländischen Gelehrten G.H.A. Juynboll (gest. 2010), einem der führenden Vertreter dessen, was wir als orientalistische Schule bezeichnet haben, weiter ausgearbeitet.
Juynboll räumt zwar ein, dass die Ursprünge dessen, was zur Hadithliteratur wurde, zweifellos im Leben des Propheten (ṣ) lagen, fügt aber hinzu, dass „es unwahrscheinlich ist, dass wir jemals auch nur eine mäßig erfolgreiche Methode finden werden, um mit unbestreitbarer Sicherheit die Historizität der Zuschreibung an den Propheten (ṣ) zu beweisen, wenn auch nur in einigen wenigen Fällen“. Zu vielen der Gefährten, so fährt er fort, wurde „eine so kolossale Anzahl offensichtlich gefälschter Traditionen zugeschrieben, dass es nicht mehr möglich ist, eine narrensichere Methode zu finden, um authentisches von falsch zugeschriebenem Material zu sieben.“[44]
Wenn es außerhalb der Möglichkeiten des Historikers liegt, zu beweisen, dass der Prophet (ṣ) etwas gesagt hat, glaubt Juynboll sicherlich, dass man beweisen kann, dass er etwas nicht gesagt hat. Er tut dies durch die Datierung, wann der Hadith entstand. Aufbauend auf Schachts Common Link-Theorie behauptet Juynboll, dass je mehr Menschen einen Hadith von einem Gelehrten überliefern, „desto mehr Historizität hat dieser Moment“. Mit anderen Worten, je mehr Menschen einen Hadith von einem Übermittler erzählten, desto mehr Beweise gibt es, dass der Hadith zu dieser Zeit tatsächlich existierte.[45] Er muss also schon früher gefälscht worden sein.
Alle Links in einem isnād, denen solche Mehrfachbezeugungen fehlen, sind von zweifelhafter historischer Verlässlichkeit, vor allem angesichts der angeblichen Verehrung, die frühe Muslime für Hadithe und deren Erhaltung hatten. Juynboll fragt, wenn der Prophet (ṣ) wirklich einen bestimmten Hadith in der Gegenwart seiner ergebenen Anhänger geäußert hat, wie erklären wir, warum er „sich dafür entscheiden sollte, seine Aussage über [ein Thema] nur einem Gefährten zu übermitteln, und warum dieser Gefährte sich dafür entscheiden sollte, sie nur einem Nachfolger zu übermitteln“.[46] Für Juynboll tritt also der einzige historisch nachweisbare ‚Moment‘ bei der Übermittlung eines Hadithes mit einem Common Link auf. Da es unvorstellbar ist, dass ein echter Hadith nur von einem isnād des Propheten (ṣ) übertragen werden kann, muss alles vor diesem Common Link von ihm oder ihr fabriziert worden sein.[47]
Juynboll ist der Meinung, dass die Schlussfolgerung, dass ein Hadith gefälscht worden sein muss, weil es keine weiteren Übertragungen davon gibt (ein Argument e silentio), gut begründet ist. Da die muslimischen Hadithgelehrten gewöhnlich alle verfügbaren Übertragungen eines Hadithes, die sie finden konnten, gesammelt haben, muss das Auslassen jeder Übertragung bedeuten, dass sie nicht existiert hat.[48]
In seiner Einzelfallanalyse vieler Hadithe entwickelt Juynboll einen Jargon zur Beschreibung der verschiedenen Phänomene der Herstellung der isnād. Wie in Abbildung 9.1 dargestellt ist, sehen wir, dass der Hadith eine klare gemeinsame Verbindung hat, die Juynboll beschuldigen würde, den Hadith zusammen mit einem passenden isnād dem Propheten (ṣ) zuzuschreiben. Wir finden auch zwei weitere Übertragungen des Hadithes neben der des Common Link, eine durch die Quelle des Common Link und eine weitere durch einen zweiten Gefährten. Da es keine historische Möglichkeit gibt, die Existenz dieser beiden alternativen Übertragungen zu überprüfen (es fehlt ein Common Link), müssen sie von einem Übermittler oder Sammler gefälscht worden sein, um eine alternative Übertragungskette, vielleicht mit einem höherwertigen isnād, zu der des Common Link zu bieten. Juynboll bezeichnet diese alternativen Übertragungen als „Diving-isnāds“.[49] Ein Hadith, der kein Common Link hat, sondern nur eine Reihe nicht verwandter „Diving“-Ketten (die Juynboll als „Spider (Spinne)“ bezeichnet), ist in keiner Weise historisch datierbar.[50]
Juynbolls Urteil über „diving“ Übertragungsketten führt ihn dazu, den gesamten Aspekt der Bestätigung von Übertragungen (mutābaʿa) unter den muslimischen Hadithgelehrten zu verwerfen. Da diese Übertragungsketten unabhängig voneinander erscheinen und keine gemeinsame Verbindung haben, können sie nicht verifiziert werden und sollten als Fälschungen angenommen werden. Sie sind einfach Plagiate des Common Links isnāde, um den Hadith zuverlässiger erscheinen zu lassen. Juynboll merkt an, dass es ihn „immer wieder erstaunt“, dass muslimische Hadithgelehrte wie Ibn Ḥaǧar al-ʿAsqalānī nicht erkannten, dass die Bestätigung von isnāde in Wirklichkeit grundlose Fälschungen waren.[51]
Wie seine Behandlung von bestätigenden Überlieferungen nahelegt, ist Juynboll der Meinung, dass die muslimischen Methoden der Hadithkritik völlig unwirksam waren, um gefälschte Hadithe auszusondern. Zunächst einmal, so sagt er, sei die Wissenschaft der Hadithkritik viel zu spät entstanden, um mit irgendeiner Zuverlässigkeit beurteilen zu können, was in der frühen Periode der Hadithfälschung im späten siebten und frühen achten Jahrhundert geschah. Zweitens haben die Methoden der Hadithkritiker nicht die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass isnāde großflächig erfunden werden konnten, was den Beweiswert jeglicher Bestätigung von isnāde zunichtemachte. Juynboll bemerkt, dass das Phänomen, das muslimische Kritiker tadlīs nannten (Verschleierung in der Übertragung, siehe Kapitel 3), es unaufrichtigen Fälschern erlaubt hätte, einen Hadith einem früheren angesehenen Gelehrten zuzuschreiben. Er behauptet, dass tadlīs „kaum jemals entdeckt wurde“. Schließlich schließt er sich Goldziher an, wenn er das „fast völlige Fehlen der Anwendung geeigneter Kriterien“ für die inhaltliche Kritik der frühen Hadithkritiker geltend macht.[52]
Wie Goldziher und Schacht kommt Juynboll zu dem Schluss, dass die ‚programmatische‘ Produktion von Hadithen nach dem Tod der Gefährten begann, wobei die Standardisierung des isnād-Formats in den 680er und 690er Jahren stattfand.[53] In Anlehnung an jene früheren Orientalisten stimmt er zu, dass Hadithe als das mahnende Material von Geschichtenerzählern und Predigern entstanden sind und erst später Themen des islamischen Rechts angesprochen haben. Das meiste, was die Muslime für die zuverlässigsten Hadithe hielten, entstand wahrscheinlich in den 700er bis 720er Jahren, als muslimische Gelehrte begannen, die Sunna des Propheten (ṣ) mit höchster Autorität zu versehen, und als der Nachbau von isnāden die Herstellung von Material zur Ausschmückung des Vermächtnisses des Propheten (ṣ) erlaubte. Während Schacht den Nachwuchs eines isnād identifiziert hatte, wenn, er in einer Sammlung wie Ṣaḥīḥ al-Buḫārī einen prophetischen Hadith fand, der in einer früheren Sammlung als Aussage eines Gefährten oder Nachfolgers erschienen war, verallgemeinerte Juynboll diese Schlussfolgerung. Selbst wenn man keine Meinung eines Gefährten oder eines Nachfolgers finden kann, die einem prophetischen Hadith entspricht, macht die Tatsache, dass so viele Hadithe aus dieser Art von nicht-prophetischen Aussagen entstanden zu sein scheinen, „jede ‚prophetische‘ Aussage verdächtig, da sie ebenfalls zu diesem Genre gehört“.[54]
Anhand von Informationen, die von muslimischen Hadithkritikern und Sammlern selbst zur Verfügung gestellt wurden, nennt Juynboll den Beweis für die massive Vermehrung der Hadithe in dieser Zeit. In den frühesten verfügbaren Quellen, sagt er, wurden große Hadithüberlieferer wie Ibn ʿAbbās beschrieben, dass sie nur neun Hadithe des Propheten (ṣ) erzählten. Doch als Ibn Ḥanbal in der ersten Hälfte der 800er-Jahre sein riesiges Musnad zusammenstellte, sammelte er 1.710 Erzählungen von Ibn ʿAbbās (obwohl Juynboll zugibt, dass diese Hadithe Wiederholungen derselben enthielten).[55]
Über das Wachstum von isnāden hinaus kritisierte Juynboll in seinen zahlreichen Artikeln eine Vielzahl anderer Konzepte, die von muslimischen Hadithkritikern entwickelt wurden. Er stellt den Ursprung des isnāds in Frage, die von muslimischen Kritikern als eine der zuverlässigsten angesehen wurde: Mālik – Nāfiʿ – Ibn ʿUmar – Prophet (ṣ), indem er behauptet, dass der Tradent Nāfiʿ, der Empfänger der Überlieferungen von Ibn ʿUmar, als großer Hadith-Erzähler nicht wirklich existierte. Mit dem Argument, dass Nāfiʿ nicht als Common Link etabliert werden kann, und unter Hinweis darauf, dass der frühe Tradentenkritiker Ibn Saʿd (gest. 230/845) ihn nicht als einen bemerkenswerten Hadithüberlieferer beschrieb, kommt Juynboll zu dem Schluss, dass Mālik und andere frühe Gelehrte Nāfiʿ einfach als nützliches Werkzeug erfunden haben, um ihre eigenen Rechtsauffassungen in den Worten des Propheten (ṣ) zu verankern.[56]
Juynboll stellt auch die Vorstellung in Frage, dass das Erreichen des Niveaus von mutawātir in den Augen der muslimischen Kritiker in irgendeiner Weise die Authentizität eines Hadithes garantierte. Mit seiner Common Link-Methode auf den berühmten Hadith „Wer absichtlich über mich lügt, der soll sich einen Platz in der Hölle vorbereiten“, behauptet Juynboll, dass die Common Link-Analyse nicht feststellen kann, dass sie auf den Propheten (ṣ) zurückgreift. Er kommt daher zu dem Schluss, dass, wenn der berühmteste Hadith von mutawātir nach seinen Methoden nicht als authentisch nachgewiesen werden kann, dann ist die ganze Idee der Hadithe von mutawātir „keine Garantie für die Historizität der Zuschreibung eines Hadith an den Propheten (ṣ).“[57]
[1] William Muir: The Life of Mohamet, S. xxxvii.
[2] Ibid., S. Ixviii u. Ixxi.
[3] Ibid., S. xlii.
[4] Ignaz Goldziher: Muslim Studies Bd. 2, S. 19-22. Goldzihers Original Mohammedanische Studien wurde 1889-1890 veröffentlicht.
[5] Goldziher: Introduction to Islamic Theology and Law, S. 40.
[6] Goldziher: Muslim Studies Bd. 2, S. 22-23.
[7] Ibid., S. 143.
[8] Ibid., S. 40.
[9] Ibid., S. 44-45.
[10] Ibid., S. 52.
[11] Ibid., S. 44-47; Lecker: Biographical Notes on Ibn Shihāb al-Zuhri.
[12] Goldziher, Muslim Studies, S. 75.
[13] Ibid., S. 38-40.
[14] Ibid., S. 77.
[15] Ibid., S. 79-85.
[16] Ibid., S. 99.
[17] Ibid., S. 121.
[18] Ibid., S. 95-97; Sunan Abi Dāwūd: kitāb al-fitan, bāb al-nahy ʿan al-saʿyi fi al-fitna.
[19] Goldziher: Muslim Studies, S. 122.
[20] Ibid., S. 108.
[21] Ibid., S. 113-114.
[22] Ibid., S. 123-124.
[23] Ibid., S. 52.
[24] Ibid. S. 74-75.
[25] Ibid., S. 18.
[26] Ibid., S. 55-56. Al-Bayhaqī und Ibn Ḫuzayma kennen niemanden „von Osten nach Westen“, der diesen Bericht bestätigt. Ein ähnlicher Bericht, der ebenfalls als unzuverlässig angesehen wird, findet sich in dem Musnad von Ibn Ḥanbal, Bd. 2, S. 367. Siehe as-Suyūṭī: Miftāḥ al-ǧanna fī l-iḥtiǧāǧ bi s-sunna (Beirut: Dār al-Kutub al-ʿllmiyya, 1987), S. 39; Ibn Qudāma: al-Muntaḫab min al-ʿllal li l-Ḫallāl (Riyad: Dār al-Rāya, 1998), S. 145.
[27] Ibid., S. 140-141
[28] Schacht: A Revaluation of lslamic Tradition, S. 146-147.
[29] Ibid., S. 151.
[30] Ibid., S. 149.
[31] Ibid., S. 151.
[32] Schacht: The Origins of Muhammadan Jurisprudence, S. 13.
[33] Ibid., S. 22.
[34] Ibid., S. 4.
[35] Ibid., S. 165-166.
[36] Schacht: A Revaluation, S. 151.
[37] Schacht: Origins of Muhammadan Jurisprudence, S. 157.
[38] Ibid., S. 157.
[39] Ibid., S. 4-5.
[40] Siehe Schacht: Origins, S. 39, 165; idem: A Revaluation of lslamic Tradition, S. 147.
[41] Schacht: Origins, S. 175.
[42] Ibid., S. 166.
[43] Ibid., S. 156.
[44] Juynboll: Muslim Tradition: Studies in Chronology, Provenance and Authorship of Early Hadith, S. 71.
[45] Juynboll: Some isnad-analytical methods illustrated on the basis of several women-demeaning sayings from Hadith literature, in Studies on the Origins and Uses of lslamic Hadith, S. 352.
[46] Ibid., S. 353.
[47] Ibid., S. 353.
[48] Juynboll: Muslim Tradition, S. 98.
[49] Juynboll: Some Isnād-analytical, S. 368.
[50] Juynboll: Nāfiʿ, the mawlā of Ibn ʿUmar, and his position in Muslim Hadith literature in Studies on the Origins and Uses of lslamic Hadith, S. 215.
[51] Juynboll: (Re)Appraisal of some Hadith Technical Terms, S. 318.
[52] Juynboll: Muslim Tradition, S. 52, 73, 75.
[53] Ibid., S. 5, 10.
[54] Ibid., S. 72-74.
[55] Ibid., S. 30.
[56] Juynboll: Nāfʿī the mawlā of lbn ʿUmar, S. 219, S. 238-239.
[57] Juynboll: Muslim Tradition, S. 98.