Die Definition von Sunna in den wichtigsten Fachbereichen des Islams
Abstract
Dieser Artikel erläutert den Begriff Sunna, welcher sich in der vorislamischen Zeit auf Präzedenzfälle bezog, die von Stammesvorfahren eingeführt, als normativ akzeptiert und von der gesamten Gemeinschaft praktiziert wurden. Mit dem Aufkommen des Islams erlebte der Begriff einen Wandel, sodass der Begriff Sunna ausschließlich die Praktiken, Gewohnheiten und Aussagen des Propheten Muhammad (ṣ) sowie die von ihm gebilligten Aussagen und Handlungen seiner Gefährten meint. Die Gefährten des Gesandten Allahs (ṣ) sind als Augenzeugen die wichtigsten Quellen für die Hadithe, die das Leben Muhammads (ṣ) dokumentieren. Die Aufzeichnungen von Augenzeugen trugen dazu bei, die Sunna zu erhalten, welche einen normativen und rechtlichen Status erhielt, der dem des Korans gleichkommt. Bis heute nehmen die meisten Muslime den Gesandten (ṣ) mitsamt Erscheinungsbild, Verhalten und anderer Praktiken als Vorbild und bedienen sich dafür authentischer Überlieferungen seiner Gefährten. In diesem Beitrag wird die Sunna in den wichtigsten Fachbereichen des Islams anhand von Beispielen erläutert.
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Die Sunna etymologisch
Der Begriff Sunna bezeichnet auf linguistischer Ebene eine gängige Methode (eine Art und Weise) oder eine Gewohnheit, ungeachtet dessen, ob diese positiv oder negativ konnotiert ist.[1] Das Wort Sunna wird in diesem allgemeinen sprachlichen Sinne im Koran und in der Sunna verwendet. So steht im Koran:
„In dieser Weise verfuhren (Wir) mit Unseren Gesandten, die Wir vor dir schickten; und du wirst keine Änderung in Unserer Sunna finden.”[2]
Der Gesandte Allahs (ṣ), sagte:
„Wer im Islam eine gute Sunna (Handlung) einführt, der wird dafür selbst und für die Leute belohnt, die danach handeln, ohne deren Lohn zu schmälern. Und wer im Islam eine schlechte Sunna (Handlung) einführt, der bürdet sich deswegen selbst eine Sünde auf sowie die Sünden derer, die danach handeln, ohne ihre Sünden zu verringern.”[3]
Wenn Prophetengefährten und frühe Gelehrte das Wort Sunna im Singular mit bestimmtem Artikel (al-) erwähnen, meinen sie damit die Sunna des Propheten (ṣ). In diesem Sinne bezeichnet die Sunna die Art und Weise, in der der Gesandte (ṣ) die Gebote und Verbote umsetzte, die er von Allah erhalten hatte. Somit ist die Sunna im sprachlichen Sinne eine Methode und Gewohnheit, also eine positive oder negative Praxis. Indes sind sich die Gelehrten einig, dass der Begriff Sunna im islamischen Kontext nur im positiven Sinne verwendet wird und daher nicht für negative Gewohnheiten, es sei denn, dies wird explizit erwähnt.[4]
Die Sunna als Terminus
Unter den Gelehrten herrscht kein Konsens über eine allgemein gültige Definition des Begriffs Sunna, sodass seine Bedeutung je nach Kontext und Fachbereich unter Umständen variiert. Somit verwenden Gelehrte den Begriff Sunna je nach Zweck und Fachrichtung in einem anderen Sinne, im Folgenden sind gängige Verwendungsmöglichkeiten angeführt.
- Bei den Hadithgelehrten: Ihr Untersuchungsgegenstand ist der Prophet (ṣ), dem sie auf Allahs Geheiß in allen Belangen folgen müssen. Demnach besteht die Aufgabe dieser Gelehrten darin, die vom Gesandten (ṣ) überlieferten Aussagen, Handlungen, sein Leben und seine Eigenschaften zu untersuchen, ungeachtet dessen, ob diesen Überlieferungen Regeln zu entnehmen sind oder nicht. Sie beurteilen diese Hadithe nach ihrer Authentizität und identifizieren Fälschungen.
- Bei den Rechtstheoretikern (uṣūl al-fiqh): Die Untersuchung der islamischen Rechtsquellen, aus denen Regeln entnommen werden können. Diese Quellen sind im Wesentlichen der Koran, die Sunna, der Konsens (iǧmāʿ) und die Analogie (qiyās). Diese Gelehrten beschränken den Begriff Sunna auf die Überlieferungen, denen Regeln entnommen werden können, also den Aussagen und Taten des Propheten (ṣ) sowie den Aussagen und Handlungen seiner Gefährten, die er billigte (sunna taqrīrīya).
- Bei den Fiqh-Gelehrten: Das Ableiten von Regeln und die islamische Beurteilung der Handlungen von Menschen, die zur Einhaltung der Gebote verpflichtet sind. Die Fiqh-Gelehrten beurteilen diese Handlungen nach den Kategorien farḍ (verpflichtend), mandūb (erstrebenswert), ḥarām (ausdrücklich verboten), makrūh (unerwünscht) oder mubāḥ (erlaubt).[5]
- Der Verwendungszweck bei den ʿAqīda-Gelehrten: Ihre Aufgabe besteht in der Wahrung der Gebote und Verbote der Glaubenslehre, dementsprechend bezeichnen sie die korrekte Lehre als Sunna und die Abweichung davon als bidʿa (Veränderung der ursprünglichen Lehre).
Wenn das Wort Sunna jedoch der Prophet (ṣ) seine Gefährten oder deren Schüler (tābiʿīn) verwenden, meinen sie damit die korrekte religiöse Praxis und das korrekte Verständnis der Religion nach der Lehre des Propheten (ṣ).[6]
Die Sunna in der Terminologie der Hadithgelehrten
Hadithgelehrte verwenden den Begriff Sunna dahingehend, dass er sowohl die Aussagen, Handlungen und gebilligten Aussagen und Taten, als auch die charakterlichen und körperlichen Eigenschaften des Gesandten (ṣ) beinhaltet, ungeachtet dessen, ob diese die Zeit vor oder nach seiner Entsendung betreffen.
Die Sunna beinhaltet demnach ausschließlich Hadithe, die auf den Propheten (ṣ), selbst zurückgehen (marfūʿ), und schließt Überlieferungen über die Prophetengefährten (mauqūf) und nachfolgende Generationen (maqṭūʿ) aus, die letzteren beiden Kategorien gehören demnach nicht zur Sunna.
Diese Definition der Sunna belegt die Tatsache, dass der Prophet (ṣ) all seine Äußerungen als Sunna bezeichnete, sofern sie nicht zum Koran gehören. Er sagte: „O Leute! Ich habe euch (zwei Dinge) hinterlassen, wenn ihr daran festhält, werdet ihr nie in die Irre gehen können: das Buch Allahs und meine Sunna.”[7] In dem hier erwähnten Sinne des Begriffs Sunna nannten Hadithgelehrte viele Hadithsammlungen sunna-Werke (pl. sunan), die speziell Hadithe des Propheten (ṣ) enthalten, wie beispielsweise Sunan Abī Dāwūd, Sunan at-Tirmiḏī, Sunan an-Nasāʾī, Sunan Ibn Māǧah, Sunan ad-Dāraquṭnī und andere Werke.
Einige Gelehrte rechnen zudem der Sunna die Aussagen und Taten der Prohetengefährten zu. Sie zitieren als Beweis dafür die Worte des Gesandten (ṣ): „Haltet euch an meine Sunna und die der rechtgeleiteten Kalifen, beißt euch daran mit euren Backzähnen fest!”[8]
Darüber hinaus definieren einige Gelehrte die Sunna als die Auffassung, die in der Frühzeit des Islams praktiziert wurde. In diesem Sinne werden etwa folgende Worte von ʿAbdarraḥmān b. Mahdī interpretiert: „Ich habe niemanden gesehen, der sich in der Sunna oder in den Hadithen, die zur Sunna gehören, besser auskennt als Ḥammād b. Zaid.” Als er einst über Sufyān aṯ-Ṯaurī, al-Auzāʿī und Mālik gefragt wurde, antwortete er: „Sufyān aṯ-Ṯaurī ist ein Imam im Hadith, jedoch nicht in der Sunna, al-Auzāʿī ist ein Imam in der Sunna, jedoch nicht im Hadith, und Mālik ist ein Imam in beiden.”[9] Diese Deutung des Begriffs Sunna scheint mit der nun folgenden übereinzustimmen.
Ferner existiert die Ansicht, dass die Sunna die Worte und Taten des Propheten (ṣ) sowie vom Propheten gebilligten Worte und Taten, seine Eigenschaften und alle anderen Angelegenheiten umfasst, die den Propheten (ṣ) vor oder nach seiner Entsendung betreffen. Diese Annahme beinhaltet auch die Worte und Taten der Prophetengefährten und deren Schüler (tābiʿīn). In diesem Sinne nannte al-Baihaqī sein Buch as-Sunan al-kabīir, obwohl es auch Fatwas und Aussagen der Prophetengefährten und deren Schüler enthält. Wer diese Deutung des Begriffs Sunna favorisiert, belegt dies mit der Tatsache, dass die Gefährten mit dem Propheten (ṣ) zusammen in einer Generation lebten und die Offenbarung miterlebten. Nach dem Tod des Propheten (ṣ) kamen die tābiʿūn hinzu, die von den Prophetengefährten lernten, sie liebten die Sunna und bemühten sich stets darum, dem Vorbild des Propheten (ṣ) und seiner Gefährten zu folgen. Hinzu kommt, dass sie die Offenbarungstexte noch im Lichte der prophetischen Tradition erlernten.[10]
Die Sunna in der Terminologie der Rechtstheoretikern (uṣūl al-fiqh)
Gelehrte der Rechtslehre beschränken in ihren Definitionen der Sunna diesen Begriff auf die Aussagen und Taten des Propheten (ṣ) sowie von ihm gebilligte Aussagen und Taten, die allesamt als Grundlage für Urteilsfindungen dienen können.[11] Sie untersuchen die Sunna als eine islamische Rechtsquelle neben dem Koran. Im Bereich dieser drei Aspekte der Sunna, der Aussagen und Taten des Propheten (ṣ) sowie den von ihm gebilligten Aussagen und Taten, werden Urteile gefällt und so die Methodik und das Verständnis der Religion dargelegt. Im Gegensatz zu den Hadithgelehrten zählen die Uṣūl-Gelehrten die Aussagen und Taten, die nur für den Propheten (ṣ) gelten, nicht zur Sunna. Ebenso verhält es sich mit den Eigenschaften des Propheten (ṣ) die Menschen ebenfalls umsetzen sollen, da diese nicht als islamische Regeln im eigentlichen Sinn gelten.
Die Sunna im Fachjargon der Fiqh-Gelehrten
Fiqh-Gelehrte verwenden die Sunna in ihrem Fachjargon[12] im Sinne einer Handlung, die aufgrund einer Aufforderung beurteilt wird, jedoch nicht erforderlich oder verpflichtend ist. Ein Beispiel hierfür ist das Waschen der rechten vor der linken Körperhälfte beim rituellen Bad (ġusl) oder die zwei rakʿa (Gebetseinheiten) vor dem Mittagsgebet.[13] In diesem Sinne ist Sunna ein Synonym für mandūb bzw. mustaḥabb (empfohlen). Der Muslim kann für eine Sunnahandlung belohnt werden, muss jedoch keine Bestrafung befürchten, wenn er sie unterlässt. Der Faqih verwendet demnach den Begriff Sunna, um zu beurteilen, inwiefern Handlungen nach islamischen Kriterien bindend sind.
Die Sunna in der Terminologie der ʿAqīda-Gelehrten
ʿAqīda-Gelehrte bezeichnen mit Sunna das Gegenteil einer bidʿa (Veränderung der ursprünglichen Lehre). Wenn sie sagen, eine Person folgt der Sunna, dann meinen sie damit, dass die Taten dieses Menschen islamkonform sind. Im umgekehrten Fall sagen die ʿAqīda-Gelehrten, die Person begeht eine bidʿa. Dazu sagte Ibn Masʿūd (r): „Wenig von der Sunna zu praktizieren ist besser als die Bemühung um eine bidʿa.”[14]
So ist es legitim, eine Person, die der Sunna in diesem Sinne folgt, als Sunnit zu bezeichnen, und die Handlung einer Person, die der Sunna widerspricht, mit dem Attribut bidʿa zu belegen.
Erklärung zur Definition des Terminus Sunna in den Hadithwissenschaften
Wie zuvor erwähnt, bezeichnet die Sunna in den Hadithwissenschaften die (1) Aussagen und (2) Taten des Propheten (ṣ) sowie (3) von ihm gebilligten Aussagen und Handlungen, (4) die Beschreibung seiner körperlichen Eigenschaften, (5) seine charakterlichen Eigenschaften und (6) alles über den Propheten (ṣ) Überlieferte, (7) ob in wachem Zustand (8) oder im Schlaf, (9) ungeachtet dessen, ob dies die Zeit vor oder nach seiner Entsendung betrifft. Nun folgt eine Erklärung der einzelnen Punkte:
1) Das Element „die Aussagen“ in der Definition beinhaltet alles, was der Gesandte (ṣ) unter verschiedenen Umständen und bei diversen Gegebenheiten sagte. Die Gelehrten nennen dies auch as-sunna al-qawliyya (die wörtliche Sunna), im Plural sunan al-ʾaqwāl. Der Großteil der Sunna besteht aus Aussagen des Propheten (ṣ). Sie sind die primäre Quelle zum Ableiten von Regeln und Urteilen. Darüber hinaus wird in diesen Äußerungen die prophetische Rhetorik erkenntlich.
Ein Beispiel hierfür ist die Aussage des Propheten (ṣ): „Kein Schaden und keine Schädigung.” (lā ḍarar wa lā ḍirār)[15]
Diese Worte des Propheten (ṣ) veranschaulichen seinen prägnanten und eloquenten Stil. Er beschreibt hier in wenigen Worten ein Grundprinzip des Islams: Ein Gläubiger darf keinen Schaden an sich und anderen zulassen und auch niemanden aktiv schädigen.
2) Das Element „Taten“ in der Definition beinhaltet das Verhalten des Gesandten (ṣ) seine Praxis und die Anwendung der an ihn gerichteten Offenbarung. Es wurden alle Facetten des Privat- und Ehelebens des Gesandten (ṣ) überliefert. Im Gegensatz dazu ist über alle anderen Propheten kaum etwas über ihr Privatleben bekannt, dies kannten nur wenige Auserwählte, die dieses Wissen nicht weitergaben. Da jedoch das gesamte Leben des Gesandten (ṣ) Vorbildcharakter für die Menschheit hat, haben die Frauen des Gesandten (ṣ) alle Einzelheiten über ihn berichtet. Sie berichteten darüber, wie er aufwachte, wie er schlief, was er tat, wenn er allein oder unter Menschen war, wie er das Haus verließ und betrat, wie er sich ernährte und beim Essen benahm, wie er sich kleidete, mit Menschen umging, sein Reittier bestieg, wie er lachte und weinte, was er auf Reisen und vor Ort tat und viele weitere Aspekte, da sein Vorbild in allen weltlichen und überweltlichen Angelegenheiten anzustreben ist.
Aber auch die Dinge, die der Gesandte (ṣ) unterließ, zählen zu ‚seinen Taten‘. Denn wenn er eine Handlung unterließ, die er hätte ausführen können, obwohl ihn nichts daran hinderte, so beweist dies, dass diese Unterlassung der Handlung der Sunna entspringt. Ein Beispiel hierfür ist, dass er das Festgebet nie in der Moschee betete. Seine Gefährten waren stets darum bemüht, auch die Handlungen zu überliefern, die der Prophet (ṣ) bewusst unterließ, und nicht nur seine aktiven Taten.
Beispiele dazu:
- Ǧābir b. ʿAbdillāh (r) überliefert: „Ich habe erlebt, dass der Gesandte Allahs (ṣ) das Festgebet verrichtete. Er fing mit dem Gebet vor der Predigt an, ohne aḏān (erster Gebetsruf) oder iqāma (zweiter Gebetsruf) […].“[16]
- Al-Muġīra b. Šuʿba (r) überliefert, dass er dem Propheten (ṣ) mit einem Schlauch Wasser folgte, als dieser sich entfernte, um seine Notdurft zu verrichten. Er wischte sich, als er fertig war, mit dem Wasser ab, machte die Gebetswaschung und strich über seine Ledersocken.[17]
3) Das Element der „von ihm gebilligten Aussagen und Handlungen“ in der Definition bezieht sich auf alle Aussagen oder Taten der Prophetengefährten, denen der Prophet (ṣ) zustimmte, indem er diese weder kommentierte noch widerlegte oder indem er seine Zustimmung offenkundig äußerte. Diese Aussagen oder Taten der Prophetengefährten werden aufgrund der Zustimmung des Propheten (ṣ) so betrachtet wie eine Tat oder Aussage des Propheten (ṣ). Sie werden so behandelt, als hätte der Prophet (ṣ) dies selbst gesagt oder getan, weil der Prophet (ṣ) niemals einen Fehler in religiösen Belangen anerkannte oder über ein Fehlverhalten schwieg. Wenn er also eine Angelegenheit billigte, bedeutet es, dass sie islamisch korrekt ist.[18]
Seine Billigung kann durch sein bloßes Schweigen erfolgen, aber auch durch eine Geste und seine Mimik, wie etwa ein Lächeln oder andere Anzeichen der Zustimmung.
ʿAmr b. al-ʿĀṣ überliefert:„In einer kalten Nacht in der Kettenschlacht hatte ich einen Samenerguss und befürchtete, Schaden zu nehmen, wenn ich mich bade, also verrichtete ich Tayammum (rituelle Reinigung mit Erde) und betete das Morgengebet mit meinen Gefährten. Sie berichteten dies dem Propheten (ṣ) der daraufhin sagte: ‚ʿAmr! Hast du mit deinen Gefährten als Imam gebetet, als du ǧunub (rituell unrein) warst?!‘ Ich erzählte ihm von dem, was mich daran hinderte, mich zu waschen und sagte: ‚Ich hörte Allah, den Gepriesenen, sagen: »Und tötet euch nicht selbst. Allah ist gewiss barmherzig mit euch.«‘[19] Der Gesandte (ṣ) lachte und sagte nichts.“[20]
ʿĀʾiša überliefert: „Ich sah den Propheten (ṣ) eines Tages an meiner Haustür, als die Abessinier in der Moschee spielten. Der Prophet (ṣ) schirmte mich mit seinem Schultertuch ab, damit ich ihren Spielen zuschauen konnte.“[21]
Die Abessinier spielten in der Moschee mit ihren Waffen, sie trainierten so für den Kampf. Der Prophet (ṣ) hinderte sie nicht daran. Dies bedeutet, dass diese Tat erlaubt ist und der Sunna nicht widerspricht.
4) Das Element „Beschreibung seiner Eigenschaften“ in der Definition beinhaltet alles, was mit seinem Wesen, seinem Aussehen und seiner physischen Beschaffenheitusammenhängt.
al-Barāʾ b. ʿĀzib überliefert: „Der Prophet (ṣ) war der schönste Mensch und der Beste unter ihnen im Charakter, er war weder zu groß noch zu klein.“[22]
Die Gelehrten zählen diese Eigenschaften zur Sunna, obwohl Muslime diese nicht nachahmen können, da Allah die Menschen mit unterschiedlichem Aussehen erschuf. Die Sunna bedeutet eigentlich, dem Vorbild des Propheten (ṣ) zu folgen. Doch sollte der Muslim auch wissen, wie der Prophet (ṣ) aussah, damit er weiß, dass Allah ihn makellos in der besten und schönsten Gestalt erschuf. Außerdem zeigen derartige Beschreibungen, dass er der Prophet ist, der in früheren Offenbarungsschriften angekündigt wurde, da diese auch Beschreibungen des letzten Propheten enthalten.
Doch sind nicht alle körperlichen Eigenschaften des Propheten auf ihn beschränkt und können somit dennoch befolgt werden: Muslimische Männer können etwa manche Aspekte des Aussehens des Propheten, Allahs Friede und Segen auf ihm, umsetzen, wie beispielsweise das Tragen eines Barts.[23]
5) Das Element „seine charakterlichen Eigenschaften“ in der Definition beinhaltet alles, was mit dem ehrenhaften Charakter des Gesandten, Allah halte ihn in Ehren und gewähre ihm Heil, zusammenhängt.
Abū Saʿīd al-H̱udrī überliefert: „Der Gesandte (ṣ) war zurückhaltender als eine Jungfrau in ihren Gemächern.“[24]
Allah vereinte im Propheten (ṣ) Über die Charaktereigenschaften verfasste u. a. der Imam at-Tirmiḏī aš-šamāʾil al-muḥammadiyya.[25] Diese vorbildliche Persönlichkeit des Propheten (ṣ) beeindruckt bis heute Muslime aber auch Nichtmuslime, so zählt er auch heute zu den einflussreichsten Menschen der Weltgeschichte.[26]
6) Das Element „alles über den Propheten Überlieferte” in der Definition beinhaltet jegliche Belange, die über ihn in allen erdenklichen Lebenslagen berichtet sind. Allah schreibt den Muslimen vor, den Propheten (ṣ) in jeder Angelegenheit zu befolgen und macht ihn so zum besten Beispiel des vollkommenen Menschen. So heißt es im Koran: „Ihr habt ja im Gesandten Allahs ein schönes Vorbild, (und zwar) für einen jeden, der auf Allah und den Jüngsten Tag hofft und Allahs viel gedenkt.”[27]
Sein Handeln weist zudem einen erzieherischen und didaktischen Aspekt auf. Der Gesandte Allahs (ṣ) verstand es, die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf sich zu lenken und so die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen. Damit bezweckte er, sich Gehör zu verschaffen, damit die Zuhörer seine Worte verstehen und im Gedächtnis behalten.
Ibn Masʿūd (r) überliefert: „Der Gesandte (ṣ) zeichnete ein Quadrat, dann zeichnete er von der Mitte des Quadrats eine Linie, die über das Quadrat hinausging. Sodann zeichnete er kleine Linien, die links und rechts von der Linie in der Mitte abwichen. Daraufhin sagte er: ‚Dies ist der Mensch. Dies ist seine Lebensdauer, die ihn begrenzt. Diese Linie, die herausgeht (aus dem Quadrat), ist seine Hoffnung und die kleinen Linien sind Vorfälle. Wenn ihn dieser Vorfall nicht ereilt, wird ihn jener treffen, und wenn ihn jener Vorfall nicht ereilt, wird ihn dieser treffen.”[28]
Dieser Hadith verdeutlicht, dass der Prophet (ṣ) eine Zeichnung als didaktisches Mittel nutzte und nicht nur frontal zu den Leuten sprach. Er bediente sich visueller Hilfsmittel, um die Aufmerksamkeit des Zuhörers zu gewinnen. Die heutige Erziehungswissenschaft belegt die Effektivität und Nachhaltigkeit derartiger Unterrichtsmethoden und empfiehlt deswegen Pädagogen, solche Materialien zu nutzen. Doch ist dies keine neue Erkenntnis: Diese vermeintlich von der modernen Wissenschaft entdeckten effektiven Lehrmethoden wandte der Prophet Muhammad (ṣ) bereits vor mehr als 14 Jahrhunderten bei seinen Schülern und Kindern an.
Auch seinem bloßen Schweigen sind islamische Regeln zu entnehmen, indem der Muslim etwa in Situationen schweigt, in denen der Prophet (ṣ) schwieg, wenn das Schweigen besser als das Reden ist.
al-Barāʾ b. ʿĀzib überliefert: „Wir gingen einst mit dem Gesandten Allahs (ṣ) auf eine Beerdigung. Als wir beim Grab waren, setzten wir uns und waren so still, dass man glauben könnte, Vögel säßen auf unseren Köpfen.“[29]
Der Prophet (ṣ) zeigte durch sein Verhalten in diesem Hadith, dass Schweigen beim Begräbnis besser ist als Reden. Diese Beschreibung können Menschen im Alltag anwenden und so in ähnlichen Situationen angemessen handeln.
7) Das Element „ob in wachem Zustand“ in der Definition beinhaltet alle Aussagen und Taten des Propheten (ṣ) bzw. Aussagen und Taten, die er billigte, die seinen wachen Zustand beschreiben. Diese haben Vorbildcharakter, da er nie aus eigenem Antrieb sprach und stets die Wahrheit gebot, ob er zornig, zufrieden, traurig oder glücklich war.
ʿAbdullāh b. ʿAmr überliefert: „Ich schrieb jede Aussage, die ich vom Gesandten (ṣ) hörte, nieder, um sie auswendig zu lernen. Jemand von den Quraschiten sagte zu mir, ich solle dies nicht tun, er meinte: ‚Schreibst du etwa jede Sache nieder, die du vom Propheten (ṣ) hörst, obwohl er ein Mensch ist und im Zorn und bei Zufriedenheit redet.‘ (Sie wollten damit zum Ausdruck bringen, dass seine objektive Urteilsfähigkeit durch Emotionen beeinträchtigt sei). Also hörte ich damit auf, seine Aussagen niederzuschreiben und erzählte dies dem Gesandten Allahs (ṣ). Er erwiderte: ‚Schreib! Denn ich schwöre gewiss bei dem, in dessen Hand meine Seele ist, ich sage nur die Wahrheit.‘“[30]
8) Das Element „oder im Schlaf” in der Definition beinhaltet alles, was der Prophet (ṣ) über seine Träume erzählte, da er in seinen Träumen nur die Wahrheit sah. Der Satan konnte sein Herz nicht beeinflussen, sodass der Prophet (ṣ) weder Falsches noch Verwerfliches träumte. Die Träume des Propheten waren eine Offenbarung.
Bespiele aus dem Koran für Träume der Propheten
Die Sure aṣ-Ṣāffāt[31] erzählt die Geschichte des Propheten Abrahams, der sich aufgrund eines Traumes dazu entschloss, seinen eigenen Sohn zu opfern. Durch den Traum wurde ihm klar, dass Allah ihm dies befohlen hat, und so war er bereit, dieses Opfer zu bringen.
Allah erklärt seinem Propheten (ṣ): „Als Allah sie dir in deinem Schlaf als Wenige zeigte.”[32]
Ferner heißt es im Koran: „Allah hat ja Seinem Gesandten das Traumgesicht der Wahrheit entsprechend wahr gemacht.”[33]
ʿĀ’iša (r) überliefert: „Jeder Traum, den der Gesandte Allahs (ṣ) sah, ereignete sich in der Realität genauso, wie er es im Traum gesehen hatte, er sah dies so klar wie das erste Morgenlicht.“[34]
Daraus folgt, dass alles, was der Gesandte (ṣ) in seinen Träumen sah, zur Sunna gehört und im Islam zu befolgen ist.
ʿĀ’iša (r) überlieferte, dass der Gesandte Allahs zu ihr sagte: „An drei Nächten wurdest du mir in meinem Traum gezeigt. Ein Engel brachte dich in einem Seidentuch zu mir und sagte: ‚Dies ist deine Frau.‘ Ich deckte dein Gesicht auf und erblickte dich. Ich sagte mir also: ‚Wenn dies von Allah ist, wird er es auch so geschehen lassen.‘”[35] Da dieser Traum eine Offenbarung von Allah war, handelte er danach und heiratete ʿĀʾiša (r).
Das Bemerkenswerte an den Träumen des Propheten (ṣ) dass er bei der Erzählung eines Traumes oft mit den Worten „Mir wurde gezeigt […]“ begann. Er nutzte die Passivform, um den Hörer darauf aufmerksam zu machen, dass er nicht selbst die Träume aktiv sah, sondern dass Allah ihm etwas offenbarte.
9) Das Element „ungeachtet dessen, ob dies die Zeit vor oder nach seiner Entsendung betrifft” in der Definition beinhaltet die Aufforderung, das gesamte Leben des Propheten (ṣ) nachzuahmen. Es ist bekannt, dass die Muslime sich in Belangen nach seiner Entsendung an ihn halten müssen, allerdings betrachten manche Gelehrte auch sein Leben vor der Entsendung als Sunna. Sie begründen dies damit, dass Allah ihm bereits seit seiner Geburt die besten Charaktereigenschaften verlieht und der Prophet (ṣ) so sein gesamtes Leben lang vor schlechten Eigenschaften und (großen) Sünden gefreit war. Deswegen war er in seinem Stamm auch vor der Entsendung für seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit bekannt. Seine Aufrichtigkeit vor der Offenbarung legt daher auch nahe, dass er nicht log, als er behauptete, ein Prophet Allahs zu sein. Unter diesem Aspekt betrachten manche Gelehrte auch sein Leben vor der Entsendung zum Propheten als einen Teil der Sunna.
Somit zählen sie alle Berichte über sein voriges Leben zur Sunna, also die Ereignisse um seine Geburt, seine Stillzeit und seine Entwicklung bis zu seiner Entsendung. Bei der Dokumentation seines Lebens vor den ersten Offenbarungen berufen sich Gelehrte sowohl auf die Berichte des Propheten (ṣ) als auch auf Aussagen anderer über ihn. In diesem Sinne gehören auch die Berichte über seinen Tod, die Vorbereitung für sein Begräbnis und seine Beisetzung selbst zur Sunna. Unter diesem Blickwinkel gehört die gesamte Prophetenbiografie zur Sunna.
Fazit
Ob durch Reisen, Seminare oder die Niederschrift – die ersten Muslimen lernten und lehrten die Sunna so, dass sie bis heute unentbehrlich für die islamischen Wissenschaften der heutigen Muslime sind. Hätten sich jene ersten Muslime nicht dazu bemüht, wären die Lehren des Gesandten Allahs (ṣ) und somit einer der wichtigsten Bausteine des Islams über die Generationen verloren gegangen, wie es anderen Religionsgemeinschaften ergangen ist. Obwohl die materiellen Ressourcen der frühen Muslime im Vergleich zu heute limitiert waren und die Sammlung der Sunna beträchtliche körperliche Anstrengungen forderte, war ihr größter Antrieb die Liebe zum Islam und zum Gesandten Allahs (ṣ).
Endnoten:
*Dieser Beitrag basiert auf folgenden arabischen Artikel: https://bit.ly/3NLQX29
[1] Muḥmmad b. Muḥammad al-Ḥusainī, Tāǧ al-ʿarūs, Bd. 9, S. 243; Ibn Manẓūr al-Anṣārī, Lisān al-ʿarab, Bd. 6, S. 399.
[2] Koran: Sure 17, Vers 77.
[3] Ṣaḥīḥ Muslim, Nr. 1017.
[4] Muḥammad b. ʿAlī b. Muḥammad aš-Šawkānī, Iršād al-fuḥūl, S. 32; al-Muʿǧam al-wasīṭ, Bd. 1 S. 455.
[5] Dies ist die übliche Unterteilung der Normen in fünf Kategorien. Bei den Hanafiten und einigen Hanbaliten existieren sieben Kategorien, indem sie die Verpflichtung und das Gebot noch einmal differenzieren: farḍ (eindeutig verpflichtend), wāǧib (verpflichtend), ḥarām (ausdrücklich verboten), makrūh taḥrīman (verboten) (s. Ibn Qudāma: Rauḍat an-nāẓir wa ǧunnat al-manāẓir, Bd. 1, S. 110 f.).
[6] ʿAbdalfattāḥ Abū Ġudda, Lamaḥāt min tārīẖ as-sunna wa ʿulūm al-ḥadiṯ, S. 14.
[7] Al-Ḥākim, al-Mustadrak, Bd. 1, S. 172, Nr. 318, al-Baihaqī, as-Sunan al-kubrā, Bd. 1, S. 114.
[8] Abū Dāwūd, Nr. 4607, at-Tirmiḏī, Nr. 2685.
[9] ʿAbd ar-Raḥmān ibn Muḥammad ibn Abī Ḥātim, al-Ǧarḥ wa at-taʿdīl, Bd. 1, S. 118.
[10] as-Sayyid Nūḥ, Šifāʾ aṣ-ṣudūr fī tārīẖ as-sunna wa manāhiǧ al-muḥadiṯīn, S. 8-13.
[11] Saif ad-Dīn al-Āmidī, al-iḥkām fī uṣūl al-aḥkām, Bd. 1, S. 127; aš-Šawkānī, Iršād al-fuḥūl ilā taḥqīq al-ḥaqq min ʿilm al-uṣūl, S. 33.
[12] Die Sunna in dem hier erklärten Sinne ist kein Terminus, sondern ein Synonym zum Terminus einer Empfehlung (istiḥbāb, mustaḥabb), es handelt sich daher um einen Fachjargon, also um eine alternative Bezeichnung für einen Fachbegriff.
[13] Aš-Šawkānī, Iršād al-Fuḥūl, S. 33.
[14] Ahmad, az-Zuhd, S. 131; al-Ḥākim, al-Mustadarak, Bd. 1, S.184.
[15] Abū Dāwūd Nr. 2340 f., Ibn Māǧah Nr. 2340 f., al-Muwaṭṭaʾ Nr. 2758, 2982.
[16] Ṣaḥīḥ Muslim, Nr. 885.
[17] Ṣaḥīḥ al-Buẖārī, Nr. 203; Ṣaḥīḥ Muslim, Nr. 274.
[18] Abū Muḥammad ʿAlī ibn Aḥmad ibn Saʿīd ibn Ḥazm, al-’Iḥkām fī uṣūl al-aḥkām, Bd. 2, Nr. 146.
[19] Koran, Sure 4, Vers 29.
[20] Abū Dāwūd, Nr. 334, Aḥmad, Nr. 17739.
[21] Ṣaḥīḥ al-Buẖārī, Nr. 454, Ṣaḥīḥ Muslim, Nr. 892.
[22] Ṣaḥīḥ al-Buẖārī, Nr. 3549, Ṣaḥīḥ Muslim, Nr. 2337.
[23] Marwān Šāhīn, Taisīr al-laṭīf al-ẖabīr fī ʿulūm ḥadīṯ al-bašīr ān-naḏīr, Bd. 1, S. 21-22.
[24] Ṣaḥīḥ al-Buẖārī, Nr. 3562, Ṣaḥīḥ Muslim, Nr. 2320.
[25] Ins Deutsche übertragen von ʿAbd al-Hafidh Wentzel unter dem Titel So war der Prophet – die Wesensart des Propheten Muhammad [Al-Schamāʾil al-muhammadiyya]. Hellenthal: WARDA Publikationen, 2008.
[26] Vgl. Michael H. Hart: The 100: A Ranking of the Most Influential Persons in History. New York: Hart Publishng Company, 1992. Er nennt als einflussreichste Person aller Zeiten Muḥammad (ṣ).
[27] Koran: Sure 33, Vers 21.
[28] Ṣaḥīḥ al-Buẖārī, Nr. 6417.
[29] Abū Dāwūd, Nr. 4753.
[30] Abū Dāwūd, Nr. 3646, Aḥmad, Nr. 6510.
[31] Koran: Sure 37, Vers 102.
[32] Koran: Sure 8, Vers 43.
[33] Koran: Sure 48, Vers 27.
[34] Ṣaḥīḥ al-Buẖārī Nr. 3, Ṣaḥīḥ Muslim Nr. 160.
[35] Ṣaḥīḥ al-Buẖārī, Nr. 3895, Ṣaḥīḥ Muslim, Nr. 1438.