Die Debatte zwischen Mondsichtung und Berechnung

Feb. 25, 2025Artikel

 Jedes Jahr aufs Neue entbrennt unter Muslimen die Diskussion darüber, wie der Beginn des Ramadan-Mondes (Hilāl) am besten bestimmt werden sollte. Während einige auf die traditionelle Mondsichtung (Ruʾya) setzen, bevorzugen andere eine wissenschaftliche Berechnung, um den Monatsanfang präziser festzulegen. Diese Debatte hat nicht nur religiöse, sondern auch praktische Auswirkungen auf das gemeinschaftliche Fasten und die Planung des islamischen Kalenders.

Doch welche Methode ist islamisch legitim? Welche Argumente sprechen für oder gegen die jeweilige Herangehensweise? Diese Abhandlung stützt sich auf die wissenschaftliche Untersuchung von Dr. Ǧamīla Nāṣir al-Qaḥṭānī (al-istiʿāna bi-l-ḥisāb al-falakī wa-l-marāṣid fī iṯbāt ahillati aš-šuhūr – dirāsa šarʿiyya), die sich ausführlich mit der Rolle der astronomischen Berechnung (Ḥisāb) und der Nutzung von Observatorien (Marāṣid) in der Feststellung der islamischen Monate auseinandersetzt.

Das Ziel dieser Abhandlung ist es, die Argumente der verschiedenen Ansichten darzulegen, um ein besseres Verständnis für die Hintergründe dieser Debatte zu ermöglichen. Gleichzeitig soll dadurch die Toleranz zwischen den Anhängern der unterschiedlichen Meinungen gefördert werden, um eine respektvolle und sachliche Diskussion zu ermöglichen.

1 Die legitimen Methoden zur Bestimmung des Beginns der Mondmonate

Der Beginn des Ramadan-Mondes (Hilāl) kann auf drei legitime Arten festgestellt werden:

  1. Die Sichtung (Ruʾya) der Mondsichel.
  2. Die Vervollständigung des Schaʿbān auf 30 Tage, falls die Sichtung ausbleibt.
  3. Die Schätzung des Hilāl bei Bewölkung

1.1 Die Sichtung des Mondes

Nach der Auffassung der Mehrheit der Gelehrten wird die Sichtung des Neumonds durch das Zeugnis einer einzelnen Person mit integrer Persönlichkeit (ʿadl) bestätigt. Dies gilt als die sicherere Methode, um rechtzeitig in die ʿIbāda einzutreten.[1]

Die Bestätigung der Mondsichtung stützt sich auf mehrere authentischen Überlieferungen aus der Sunna:

Der Hadith von Ibn ʿUmar (r), in dem berichtet wird:

„Die Menschen versuchten, den Mond zu sichten. Da teilte ich dem Propheten mit, dass ich ihn gesehen habe. Daraufhin fastete der Gesandte Gottes und befahl den Menschen zu fasten.“[2]

Ein weiterer Hadith berichtet von einem Beduinen, der den Propheten darüber informierte, dass er die Mondsichel gesehen habe. Der Prophet fragte ihn:

„Bezeugst du, dass es keinen Gott außer Allah gibt und dass Muḥammad der Gesandte Allahs ist?“ Der Mann antwortete: „Ja.“ Daraufhin sagte der Prophet : „Steh auf, Bilāl, und ruf die Menschen zum (morgigen) Fasten auf!“[3]

Diese beiden Hadithe bestätigen, dass das Zeugnis einer einzelnen vertrauenswürdigen Person für die Feststellung des Monatsbeginns ausreicht. Darüber hinaus entspricht das Fasten aufgrund der Aussage eines Einzelnen auch den allgemeinen Grundlagen. Denn die Menschen brechen ihr Fasten und beginnen es ebenfalls auf Grundlage des Gebetsrufes eines Einzelnen. Dies wird durch die Aussage des Propheten untermauert:

„Wenn Bilāl in der Nacht zum Gebet ruft, so esst und trinkt noch, bis Ibn Umm Maktūm ruft.“[4]

Daher ist es den Muslimen vorgeschrieben, am 29. Tag des Schaʿbān nach Sonnenuntergang nach der Mondsichel Ausschau zu halten. Dies ergibt sich aus dem islamischen Rechtsprinzip, dass alles, was zur Erfüllung einer Pflicht erforderlich ist, selbst zur Kollektivpflicht wird.

1.2 Das Vervollständigen der 30 Tage von Schaʿbān

Falls am Abend des 29. Schaʿbān die Sichtung des Mondes ausbleibt, sei es aufgrund von Bewölkung oder anderen Hindernissen, so wird der Monat auf 30 Tage vervollständigt. Dies basiert auf der klaren Anweisung des Propheten :

„Fastet mit Sichtung seines (des Mondes) und brecht das Fasten mit Sichtung seines (des Mondes). Wenn es bewölkt sein sollte, vervollständigt die 30 Tage von Schaʿbān.“[5]

Da ein Mondmonat weder mehr als 30 Tage noch weniger als 29 Tage haben kann, wird diese Regel durch die authentischen Überlieferungen bestätigt und genießt die einstimmige Übereinkunft der Gelehrten.[6] Dies gilt sowohl bei klarem Himmel als auch bei Bewölkung. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Beginn des Schaʿbān bereits bekannt war. Nur so kann der 30. Abend genau bestimmt werden, um am 29. Schaʿbān nach dem Hilāl Ausschau zu halten oder – falls die Sichtung ausbleibt – den Monat entsprechend zu vervollständigen.[7]

1.3 Die Schätzung des Hilāl bei Bewölkung

Der Prophet sagte:

„Fastet nicht, bevor ihr den Mond seht, und brecht das Fasten nicht, bevor ihr den Mond seht. Wenn es bewölkt sein sollte, dann schätzt ihn (fa-qdurū lahu).“[8]

Die Gelehrten haben unterschiedliche Meinungen über die Bedeutung des Begriffs „Schätzung“ (fa-qdurū lahu) in diesem Hadith:

1.3.1 Die Mehrheit der Gelehrten

Die überwiegende Mehrheit der Gelehrten ist der Ansicht, dass „schätzt ihn“ bedeutet, die 30 Tage zu vervollständigen.[9] Diese Interpretation stützt sich auf mehrere authentischen Überlieferungen des Propheten , in denen er erklärte:

„Wenn sich euch der Mond verbirgt, dann vervollständigt die 30.“ [10]

„So schätzt ihn (fa-qdurū lahu) auf 30 Tage.“[11]

„Wenn er euch verborgen bleibt, dann fastet 30 Tage.“[12]

„Wenn der Monat euch verdeckt bleibt, dann zählt 30 Tage.“[13]

All diese Überlieferungen verdeutlichen die Bedeutung der zusammenfassenden Formulierung „schätzt ihn“ und bestätigen, dass bei Unsicherheit der Monat auf 30 Tage vervollständigt wird.[14]

1.3.2 Imām Aḥmads Meinung:

Imām Aḥmad und einige wenige Gelehrte[15] vertraten die Auffassung, dass das Wort „fa-qdurū“ hier die Bedeutung von „einschränken/verengen“ (qaḍarū) hat. Nach dieser Interpretation bedeutet der Hadith: „Nehmt an, dass der Mond noch unter den Wolken verborgen ist“.

Diese Bedeutung basiert auf der Verwendung des Wortes „qadara“ im Koran, wo es heißt:

„Was aber den betrifft, dem Er (Allah) seine Versorgung bemisst (fa-qadara ʿalaihi rizqahu), so sagt er: ‚Mein Herr hat mich erniedrigt.‘“ (Sure al-Faǧr, 89:16)

Die Vertreter dieser Ansicht folgerten daraus, dass man den ersten Tag des Ramadans auch bei Bewölkung fasten müsse. Diese Meinung wird jedoch durch die klaren Hadithe der Mehrheit widerlegt.

1.3.3 Bestimmung durch astronomische Berechnung

Muṭarrif – einer der großen Tābiʿīn –, Ibn Suraiǧ – ein bedeutender Gelehrter der schāfiʿitischen Rechtsschule – und andere meinten, dass „fa-qdurū lahu“ bedeute, den Monat anhand der Mondstationen (manāzil) und mithilfe der astronomischen Berechnung (Ḥisāb) zu bestimmen.

Die Mehrheit der Gelehrten lehnt diese Methode jedoch ab und verweist auf die Aussage des Propheten :

„Wir sind eine schriftunkundige Gemeinschaft (Umma Ummiyya); wir schreiben nicht und berechnen nicht. Ein Monat ist mal 29 und mal 30 Tage lang.“[16]

Würde man die Muslime zur Verwendung astronomischer Berechnungen verpflichten, entstünde eine große Erschwernis, da nur wenige Menschen dieses Wissen beherrschen. Daher bleibt die Frage, ob astronomische Berechnungen zur Bestimmung des Beginns und Endes des Ramadans herangezogen werden dürfen, bis heute umstritten und Gegenstand dieser Untersuchung.

2 Die Bedeutung von astronomischen Berechnungen (Ḥisābāt) und die Nutzung von Sternwarten (Marāṣid)

Mit dem Fortschritt der Technologie sind in der heutigen Zeit neue Methoden zur Bestimmung des Monatsbeginns entstanden, die es in früheren Zeiten in dieser Form nicht gab. Dazu gehören astronomische Berechnungen (Ḥisābāt) und die Nutzung von Sternwarten (Marāṣid). Um den Zweck und die Bedeutung dieser Methoden zu verstehen, ist es wichtig, zunächst den natürlichen Zyklus des Mondes zu kennen.

Der Mond umkreist die Erde einmal im Monat. Wenn er diesen Zyklus zwölfmal durchläuft, ist ein Mondjahr vollendet. Eine vollständige Umkreisung dauert etwa 29 Tage, 12 Stunden und 44 Minuten. Aufgrund natürlicher Schwankungen kann es jedoch zu geringen Abweichungen kommen – mit einer möglichen Differenz von bis zu 13 Stunden. Diese Schwankungen bedeuten, dass der Mond von der Erde aus gesehen manchmal nach 29 Tagen und manchmal erst nach 30 Tagen sichtbar wird. In seltenen Fällen kann die Sichtung sogar erst nach 28 Tagen erfolgen, was aus wissenschaftlicher Perspektive erklärbar ist.

Während eines bestimmten Abschnitts seiner Umlaufbahn verschwindet der Mond vollständig im Schatten zwischen Erde und Sonne, wodurch er von beiden Seiten aus unsichtbar wird. Diese Phase wird als Konjunktion (Muḥāq) bezeichnet. Sobald der Mond diesen Schattenbereich verlässt und das Sonnenlicht wieder auf seine sichtbare Seite trifft, spricht man von der „Geburt des Hilāls“ (Wiedererscheinen des Neumonds). Mit diesem Moment beginnt der natürliche Mondmonat.[17]

Das Erscheinen des Mondes zu Beginn eines neuen Monats erfolgt beim Sonnenuntergang über dem westlichen Horizont. Dabei verweilt er nur für kurze Zeit am Himmel, bevor er schnell wieder verschwindet. Aus diesem Grund ist er oft nur schwer oder gar nicht zu sehen – insbesondere wenn sein beleuchteter Teil der Erde zugewandt ist, noch von der Sonne überstrahlt wird oder bereits untergeht, während die Sonne noch über dem Horizont steht.

Zudem kann der Mond so kurz nach Sonnenuntergang erscheinen, dass sein Licht in der noch vorhandenen Helligkeit des Himmels kaum oder gar nicht wahrgenommen wird. Eine weitere Schwierigkeit entsteht, wenn die beleuchtete Oberfläche des Mondes extrem gering ist, insbesondere dann, wenn er sich gerade erst aus der Neumondphase (Muḥāq) gelöst hat.

Trotz dieser Unsichtbarkeit beginnt der neue Monat aus astronomischer Perspektive (naturwissenschaftlich) bereits mit der Geburt des Mondes – auch wenn die Sichtung aufgrund der genannten Faktoren nicht möglich ist.

2.1 Was ist mit astronomischen Berechnungen (Ḥisābāt Falakiyya) gemeint?

Die Astronomie ist die Wissenschaft, die sich mit den Himmelserscheinungen, den Eigenschaften und Bewegungen der Himmelskörper sowie deren Beziehungen zueinander befasst. Die astronomische Berechnung bezeichnet die wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnisse der modernen Astronomie zur Bestimmung des Geburtszeitpunkts der Mondsichel (Hilāl). Diese Berechnungen ermöglichen es, den exakten Zeitpunkt der Neumondphase (Muḥāq) und den Moment des ersten Wiedererscheinens des Mondes am Himmel zu ermitteln.

Bereits in der Antike waren verschiedene Zivilisationen in der Lage, mithilfe der Mathematik die Bewegungen von Sonne, Mond und Planeten zu berechnen und entsprechende Tabellen zu erstellen. Die ältesten bekannten Aufzeichnungen dieser Art stammen aus der Zeit der babylonischen Dynastie während der Epoche des Königs Ammi-Ṣadūqa.[18]

Im Gegensatz dazu verfügten die Araber in der vorislamischen Zeit nur über sehr begrenzte astronomische Kenntnisse. Ihr Wissen war oft mit Wahrsagerei und Astrologie vermischt, und sie kannten kaum fundierte astronomische Methoden. Dies war auch der Stand der Wissenschaft zur Lebenszeit des Propheten ﷺ, weshalb er die Mondsichtung der Berechnung vorzog – um seiner Gemeinde (Umma) die Handhabung zu erleichtern und sie nicht zu überfordern.[19]

Bis ins 3. Jahrhundert n. H. (nach der Hijra) blieben die Muslime in der Astronomie weitgehend ungebildet. Doch mit der wissenschaftlichen Blütezeit begann eine intensive Beschäftigung mit der Himmelskunde. Bedeutende Werke – unter anderem von Ptolemäus (Baṭlamyūs) und Euklid – wurden ins Arabische übersetzt. Dies führte zu einem sprunghaften Fortschritt in der islamischen Astronomie, der zur Erstellung detaillierter astronomischer Tabellen (Zīdsch) führte.[20]

Berühmte muslimische Astronomen wie al-Ṣūfī, al-Bannānī, al-Bīrūnī, al-Ṭūsī und Ibn al-Schāṭir entwickelten neue Theorien, die später den Grundstein für die moderne Astronomie legten. Im 20. Jahrhundert machte die Astronomie enorme Fortschritte. Mit der Entwicklung von Satelliten, Raumsonden und elektronischen Computern begann die Ära der Raumfahrt. Dadurch wurde es möglich, die Phänomene des Universums in einem bisher unerreichten Ausmaß zu beobachten und zu erforschen – weit über das sichtbare Licht hinaus. So konnten nun auch Bereiche wie Infrarot-, Ultraviolett- und Gammastrahlen untersucht werden. Diese Fortschritte haben die Astronomie zu einer hochpräzisen empirischen Wissenschaft gemacht. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die minutiöse Berechnung von Sonnen- und Mondfinsternissen lange im Voraus sowie die punktgenaue Steuerung von Raumsonden und Satelliten.[21]

Dank präziser mathematischer Berechnungen sind Astronomen heute in der Lage, die Umlaufbahnen der Planeten, ihre Positionen sowie die Bahnen des Mondes für viele Jahre im Voraus exakt zu bestimmen. Ebenso lässt sich der exakte Zeitpunkt der Mondgeburt (Neumond) bis auf Stunden, Minuten und Sekunden berechnen. Internationale astronomische Institutionen – darunter britische, amerikanische und deutsche Institute – veröffentlichen regelmäßig astronomische Tabellen mit genauen Daten. Diese Tabellen basieren auf physikalischen Theorien und komplexen mathematischen Berechnungen, die durch Experimente und moderne Beobachtungsinstrumente vielfach bestätigt wurden. Besonders zuverlässig ist die Berechnung des Monduntergangs, da sie eine der aussagekräftigsten astronomischen Daten liefert.[22]

2.2 Was ist mit Sternwarten (Marāṣid Falakiyya) gemeint?

Sternwarten (Marāṣid Falakiyya) sind hochentwickelte astronomische Observatorien, die speziell zur Beobachtung der Mondphasen eingesetzt werden. Sie dienen dazu, die Position des Mondes, seinen Höhenwinkel über dem Horizont, seinen Abstand zur Sonne beim Sonnenuntergang und andere astronomische Parameter exakt zu bestimmen. Dank moderner Teleskope und präziser Messinstrumente können diese Observatorien den Auf- und Untergang des Mondes mit hoher Genauigkeit berechnen.

Um den Mond in einer Sternwarte zu beobachten, müssen drei wesentliche Faktoren berücksichtigt werden:

  • Bestimmung des Zeitpunkts der Konjunktion (Neumond) zwischen Sonne und Mond.
  • Bestimmung des Sonnenuntergangs als Referenzpunkt.
  • Bestimmung des Monduntergangs zur Berechnung der Sichtbarkeit des Hilāls.

Diese Faktoren ermöglichen eine präzise Vorhersage darüber, ob und wann der Hilāl sichtbar sein wird.[23]

3 Positionen der früheren und heutigen Gelehrten zur Berücksichtigung der astronomischen Berechnung bei der Feststellung der Mondmonate

Die Analyse der Meinungen der Gelehrten und ihrer Beweisführungen zeigt, dass sie sich iin den folgenden Grundsätzen einigen:

  • Die Mondmonate spielen grundsätzlich eine zentrale Rolle bei der Bemessung verschiedener Lebensbereiche, darunter religiöse Pflichten wie das Fasten und die Pilgerfahrt.
  • Die korrekte Sichtung (Ruʾya Ṣaḥīḥa) wird als legitime Grundlage (Aṣl Scharʿī) zur Feststellung des Monatsbeginns anerkannt, da sie durch eindeutige Texte aus dem Koran und der Sunna bestätigt wird.
  • Ein Richter (Qāḍī) hat die Aufgabe, ein Zeugnis über die Mondsichtung zu prüfen und gegebenenfalls zurückzuweisen, falls es durch Sinneswahrnehmung oder offensichtliche Tatsachen widerlegt wird.
  • Im Islam sind bestimmte Rechtsfolgen an konkrete Ursachen (ʿIlal, Asbāb) geknüpft.

Der eigentliche Streitpunkt liegt daher in der Frage, welche Ursache für den Beginn eines Monats vom islamischen Gesetzgeber festgelegt wurde:

Ist es die optische Sichtung (Ruʾya), entsprechend dem Wortlaut des Hadiths:

„Fastet, wenn ihr ihn (den Mond) seht …“?

Oder ist es das Motiv, dass die Muslime zur Zeit des Propheten ﷺ eine analphabetische Gemeinschaft waren und deshalb auf die Mondsichtung angewiesen waren, da sie keine astronomischen Berechnungen durchführen konnten?

Diese zentrale Fragestellung bestimmt die im Folgenden dargestellten Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gelehrten in Bezug auf die Gültigkeit der astronomischen Berechnung zur Bestimmung des Monatsbeginns.

3.1 Die Berechnung darf die astronomische Berechnung weder zur Bestimmung des Beginns noch des Endes des Ramadans herangezogen werden

Nach dieser Meinung darf die astronomische Berechnung weder zur Bestimmung des Beginns noch des Endes des Ramadans herangezogen werden. Ausschlaggebend ist allein die Mondsichtung oder – falls die Sichtung ausbleibt – die Vervollständigung des Monats auf 30 Tage.

Wenn eine vertrauenswürdige Person den Mond sichtet und Zeugnis darüber ablegt, wird dieses angenommen – selbst wenn die astronomische Berechnung dem widerspricht. Diese Auffassung wird von der Mehrheit der klassischen Rechtsgelehrten vertreten und findet auch unter modernen Gelehrten Zustimmung.[24]

Beweise dieser Richtung

a) Hadithe:

Als Beweise für diese Ansicht gelten Hadithe, die den Monatsbeginn an die tatsächliche Sichtung knüpfen. Der Prophet machte die Rechtspflicht des Fastens eindeutig von der Mondsichtung abhängig. Er sagte:

„Fastet nicht, bevor ihr den Mond seht, und brecht das Fasten nicht, bevor ihr den Mond seht. Wenn es bewölkt ist, so schätzt ihn (fa-qdurū lahu).“

Auch der Hadith über die Eigenschaft der Gemeinde, die weder schreiben noch lesen kann, wird herangezogen. Der Prophet sagte:

„Wir sind eine ungelehrte (ummiyya) Gemeinde; wir schreiben nicht und berechnen nicht. Der Monat umfasst mal 29 und mal 30 Tage.“

Daraus wird abgeleitet, dass der Prophet die Sichtung als alleinige Methode festlegte, da die Menschen zur damaligen Zeit keine astronomischen Berechnungen oder mathematischen Kenntnisse besaßen. Ibn Ḥaǧar kommentierte diesen Hadith dahingehend, dass die Mehrheit der Menschen damals keine Kenntnisse über astronomische Berechnungen hatte, weshalb der Islam eine einfach nachvollziehbare Methode festlegte – nämlich die Sichtung des Mondes.[25]

Einwände:

  • Dieser Hadith beschreibt lediglich den damaligen Zustand der Unwissenheit, ohne eine generelle Vorschrift für alle Zeiten zu formulieren.
  • Der Prophet ermutigte seine Gefährten, das Schreiben zu lernen, was darauf hindeutet, dass auch Berechnungen in Zukunft möglich sein könnten.[26]
  • Die Mondsichtung wurde nur deshalb als Maßstab genommen, weil damals keine genauere Methode verfügbar war.

    b) Konsens der Gelehrten

Viele Gelehrte, darunter Ibn ʿĀbidīn, Ibn Rušd, Ibn Ḥadschar und Ibn Taimiyya, argumentieren, dass es einen Idschmāʿ (Konsens) der Altvorderen gebe, wonach astronomische Berechnungen nicht maßgeblich sind.[27]

Einwände:

Diese Behauptung ist fragwürdig, da einige Gelehrte eine andere Meinung vertraten. So sprach sich etwa Muṭarrif ibn al-Schikhīr (ein bedeutender Tābiʿī) für die Berücksichtigung astronomischer Berechnungen aus. Auch innerhalb der schāfiʿitischen Rechtsschule gab es abweichende Positionen, etwa bei Ibn as-Subki, Ibn Qutayba, Ibn Suraiǧ und anderen.[28]

  1. Vernunftargumente zur Ablehnung der astronomischen Berechnung

Einige Gelehrte argumentieren, dass astronomische Berechnungen nicht absolut verlässlich seien, da sie lediglich auf Vermutungen basierten. Ihrer Meinung nach gibt es immer wieder Diskrepanzen zwischen den berechneten Daten und tatsächlichen Sichtungen, was Zweifel an der Präzision dieser Methode aufwerfe. Zudem kämen verschiedene Astronomen gelegentlich zu abweichenden Ergebnissen, was die Zuverlässigkeit der Berechnung weiter in Frage stelle. Ibn Ḥadschar überliefert von einigen Gelehrten, dass das Heranziehen der Astronomie zur Festlegung des Monatsbeginns unzulässig sei, da es in den Bereich von Spekulation und Astrologie fallen könne – beides sei weder sicher noch weit verbreitet. Würde man die Menschen verpflichten, sich ausschließlich auf astronomische Berechnungen zu stützen, würde dies zu einer unerträglichen Erschwernis führen, da nicht jeder Zugang zu diesem spezialisierten Wissen habe.[29]

Es wird nicht bestritten, dass die Mondsichtung eine legitime Methode ist. Allerdings zeugt eine generelle Ablehnung moderner astronomischer Erkenntnisse von einer Missachtung des wissenschaftlichen Fortschritts. Die heutige Astronomie basiert auf präzisen Berechnungen, die weitgehend verlässlich sind – so wie wir auch bei arithmetischen Berechnungen nicht mehr auf das Zählen der Finger angewiesen sind, sondern Rechenmaschinen nutzen. Astrologie und Wahrsagerei haben nichts mit der modernen, wissenschaftlich fundierten Astronomie zu tun. Dass Sonnen- und Mondfinsternisse jahrzehntelang im Voraus exakt berechnet werden können, beweist die Zuverlässigkeit astronomischer Methoden und offenbart gleichzeitig die Größe des Schöpfers:

„Und euch ist vom Wissen nur wenig gegeben.“ (Sure al-Isrāʾ, 17:85)

Dies zeigt, dass die Fähigkeit, den Moment der Mondgeburt zu bestimmen oder seine Sichtbarkeit abzuschätzen, real und gesichert ist.

2. Die Sichtung entspricht den barmherzigen Grundsätzen der Scharia

Die Sichtung entspricht den barmherzigen Grundsätzen der Scharia, da sie eine Methode darstellt, die allen Menschen zugänglich ist. Die Scharia legt großen Wert auf Einfachheit und Allgemeingültigkeit, weshalb die Mondsichtung als Grundlage für den Beginn des Monats festgelegt wurde. Jeder Mensch kann den Mond mit eigenen Augen sehen, während astronomische Berechnungen komplex sind und für die meisten Menschen schwer nachvollziehbar bleiben. Würde man sich ausschließlich auf Berechnungen stützen, würde dies die Mehrheit der Menschen von der Bestimmung des Monatsbeginns ausschließen und ihnen eine unverständliche sowie schwer zugängliche Methode auferlegen.

Einwände:

  • Angesichts des heutigen wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts ist die Nutzung astronomischer Berechnungen keine Erschwernis mehr.
  • Die Kombination aus Sichtung und Berechnung kann Ungenauigkeiten beseitigen, die durch Irrtümer und Fehleinschätzungen
  • Die Sichtung ist subjektiv, da sie von Augenqualität, Wetterbedingungen und Lichtverhältnissen abhängt, während die astronomische Berechnung objektiv ist und von solchen Faktoren nicht beeinflusst[30]

3.2 Die uneingeschränkte Zulässigkeit der astronomischen Berechnung

Nach dieser Auffassung ist die astronomische Berechnung ein legitimer Scharia-Weg, um Beginn und Ende des Ramadans festzustellen. Diese Meinung wurde unter anderem von Muṭarrif ibn al-Schikhīr, einer Reihe von Schāfiʿiten, einigen Malikiten sowie zahlreichen modernen Gelehrten vertreten.[31]

Beweise für diese Ansicht

a) Koranverse

Die Vertreter dieser Ansicht beruft sich auf mehrere Koranverse, die auf die präzisen Berechnungen der Himmelskörper hinweisen:

„Sonne und Mond (bewegen sich) nach einer Berechnung (bi-ḥusbān).“ (ar-Raḥmān, 55:5)

„Er ist es, der die Sonne hell und den Mond leuchtend gemacht hat und ihm Stationen zugeordnet hat, damit ihr die Zahl der Jahre und die Berechnung kennenlernt …“ (Yūnus, 10:5)

Aus diesen Versen wird abgeleitet, dass Allah selbst die Himmelskörper nach präzisen Gesetzen lenkt und den Menschen das Wissen über ihre Bewegungen ermöglicht. Dies deute darauf hin, dass die Nutzung astronomischer Berechnungen zur Feststellung der Mondmonate nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht sei.[32]

Einwände:

  • Diese Verse bestätigen, dass Allah die Sonne und den Mond als Mittel zur Zeitbestimmung erschaffen hat.
  • Der Prophet ﷺ knüpfte das Fasten jedoch explizit an die Mondsichtung, obwohl diese astronomischen Gesetze bereits existierten.
  • Dies zeigt, dass die Scharia nicht primär auf wissenschaftliche Präzision, sondern auf praktische Umsetzbarkeit für die breite Masse abzielt – um Erschwernis zu vermeiden.

    b) Hadithe

Die Befürworter dieser Richtung berufen sich ebenfalls auf den bekannten Hadith:

„Fastet nicht, bevor ihr den Mond seht, und brecht das Fasten nicht, bevor ihr den Mond seht. Wenn es bewölkt ist, dann schätzt ihn (fa-qdurū lahu).“

Sie argumentieren, dass die Anweisung „fa-qdurū lahu“ sich speziell an diejenigen richtet, die mit Astronomie vertraut sind, während die Anweisung „vervollständigt 30 Tage“ für die breite Masse gedacht sei. Wer den Mond nicht sehen kann, soll sich mit den Mondstationen befassen, um den Monat anhand von astronomischen Berechnungen zu bestimmen. Nur wenn dies nicht möglich ist, soll man auf 30 Tage vervollständigen.[33]

Einwände:

  • In vielen authentischen Varianten desselben Hadiths wird das Schätzen (fa-qdurū lahu) eindeutig als „Vervollständigen auf 30 Tage“ erklärt.
  • Das bedeutet, dass der Prophetnicht die astronomische Berechnung als Lösung vorschlug, sondern die einfache und klare Methode der Vervollständigung auf 30 Tage als Maßstab setzte.

    c) Vernunftargumente für die Zulässigkeit der astronomischen Berechnung

Erstens: Die Bindung an die Sichtung war nur eine pragmatische Lösung zur damaligen Zeit

Die Befürworter der astronomischen Berechnung argumentieren, dass die Verpflichtung zur Mondsichtung nur deshalb erfolgte, weil die Menschen zur Zeit des Propheten keine Kenntnisse in Mathematik und Astronomie besaßen. Dies wird auf den Hadith gestützt:

„Wir sind eine ungelehrte (ummiyya) Gemeinde; wir schreiben nicht und berechnen nicht. Der Monat umfasst mal 29 und mal 30 Tage.“

Nach dieser Meinung bedeutet „ummiyya“ hier lediglich, dass die Muslime zu jener Zeit nicht über astronomische Kenntnisse verfügten – nicht aber, dass dies eine zeitlose Vorschrift sei. Der bekannte Gelehrte Aḥmad Schākir argumentierte, dass der Hadith lediglich erklärt, warum damals keine astronomischen Methoden verwendet wurden, jedoch nicht, dass dies für alle Zeiten so bleiben müsse. Sobald die Unwissenheit überwunden ist und genauere Methoden zur Verfügung stehen, soll man diese nutzen, da sie eine präzisere Bestimmung des Monatsbeginns ermöglichen.[34]

Einwände:

  • Der Wortlaut der islamischen Texte macht eindeutig klar, dass die Scharia die Mondsichtung als Maßstab festlegt und keine Alternativen
  • Hätte der Prophet gewollt, dass die Berechnung künftig genutzt wird, hätte er darauf hingewiesen – stattdessen sagte er eindeutig: „Wenn es bewölkt ist, dann vollendet 30 Tage.“
  • Dies zeigt, dass selbst in Situationen, in denen die Sichtung erschwert ist, keine alternative Methode eingeführt wurde.[35]

Zweitens: Die Sichtung ist nur eine Methode (Wasīla), nicht das eigentliche Ziel

Ein weiteres Argument der Befürworter des Ḥisāb lautet, dass die Mondsichtung kein Selbstzweck sei, sondern lediglich eine Methode (Wasīla) zur Bestimmung des Monatsbeginns. Da es heute mit astronomischer Berechnung (Ḥisāb) eine noch sicherere Methode gibt, wäre es logisch, diese zu nutzen. Innerhalb der schāfiʿitischen Rechtsschule äußerte sich der Gelehrte al-Qalyūbī wie folgt:

“Wenn die eindeutige Berechnung (ḥisāb al-qaṭʿī) darauf hinweist, dass eine Sichtung des Hilāl unmöglich ist, dann wird die Aussage vertrauenswürdiger Personen über eine Sichtung nicht akzeptiert und ihr Zeugnis zurückgewiesen. Das Fasten in einem solchen Fall ist nicht erlaubt, und ein Widerspruch dazu wäre reine Trotzreaktion und Sturheit.”[36]

Das bedeutet: Astronomische Berechnungen sind eindeutig und sicher, während Zeugenaussagen auf Wahrnehmung beruhen und fehleranfällig sein können. Folglich sollte der Ḥisāb Vorrang vor unsicheren Sichtungen haben.

Einwände:

  1. Rechtlich:

Die ausschließliche Orientierung an der astronomischen Berechnung setzt die vom Gesetzgeber festgelegte Ursache außer Kraft und stellt eine rechtliche Problemstellung dar. Die Scharia hat die Mondsichtung (Ruʾya) als einzige legitime Ursache (ʿilla) für den Monatsbeginn festgelegt, sodass die Anwendung der Berechnung als alleiniges Kriterium dieser klar definierten islamischen Vorgabe widerspricht. Darüber hinaus gibt es einen Konsens der maßgeblichen Gelehrten, der sich selbst in Zeiten, in denen die islamische Astronomie eine Hochblüte erreichte, gegen die ausschließliche Anwendung von Berechnungen aussprach. Die großen Gelehrten vergangener Jahrhunderte waren mit astronomischen Methoden vertraut, hielten jedoch dennoch an der Sichtungsmethode fest.[37]

2. Wissenschaftlich:

Der Hauptunterschied zwischen dem astronomischen Monat und dem islamischen (scharīʿa-)Monat liegt in ihrer Definition. Der astronomische Monat beginnt mit der Neumondphase (Konjunktion), also dem Zeitpunkt, an dem der Mond exakt zwischen Erde und Sonne steht. In diesem Moment ist er jedoch für den Beobachter unsichtbar, da er sich noch im Schatten der Sonne befindet. Der scharīʿa-Monat hingegen beginnt erst, wenn die schmale Mondsichel (Hilāl) tatsächlich sichtbar wird. Erst wenn der Mond sich ausreichend von der Sonne entfernt hat und seine beleuchtete Seite für das bloße Auge erkennbar ist, gilt der neue Monat nach islamischem Recht als eingetreten.

Warum ist dieser Unterschied wichtig?

Die sichtbare Mondsichel kann sich um Stunden oder sogar einen ganzen Tag verzögern, bevor sie sich weit genug von der Sonne entfernt, um beobachtet werden zu können. Rein astronomisch betrachtet, kann der Mond zwar exakt berechnet und als „geboren“ angesehen werden, doch faktisch bleibt er für das bloße Auge unsichtbar. Experten der Astronomie selbst warnen davor, Berechnungen ohne die Möglichkeit der Sichtung zu verwenden, da dies zu einer Abweichung vom realen Sichtungsverhalten des Mondes führen kann.[38]

Gegenargument: Die moderne Astronomie sei mittlerweile so präzise, dass Berechnungen ausreichen

Einige Befürworter der astronomischen Berechnung argumentieren, dass die moderne Astronomie mittlerweile so weit fortgeschritten ist, dass sie alle relevanten Faktoren – wie den exakten Zeitpunkt des Neumonds, den Sonnenuntergang, die Helligkeit der Mondsichel und andere astronomische Parameter – mit hoher Präzision vorausberechnen kann. Die Wahrscheinlichkeit einer Abweichung sei minimal und liege laut Experten bei etwa 1:100.000, was eine nahezu fehlerfreie Bestimmung des Mondmonats ermögliche. Somit sei die Sichtung als Maßstab überholt, da Berechnungen mittlerweile mit einer höheren Genauigkeit erfolgen als bloße menschliche Beobachtungen.

Einwände:

Trotz dieser hohen wissenschaftlichen Präzision bleibt die Sichtung des Mondes in der islamischen Gesetzgebung (Scharīʿa) maßgeblich. Dafür gibt es mehrere Gründe:

a) Die Berechnung ersetzt nicht die vom Gesetzgeber festgelegte Methode

Die Scharīʿa hat die tatsächliche Sichtung (Ruʾya) als Grundlage für den Monatsbeginn festgelegt und nicht die bloße Existenz des Mondes auf Grundlage astronomischer Berechnungen. Auch wenn der Mond rein rechnerisch bereits existiert, ist er für den Beobachter möglicherweise noch nicht sichtbar. Der Prophet ﷺ hat explizit festgelegt: „Fastet, wenn ihr ihn (den Mond) seht, und brecht das Fasten, wenn ihr ihn seht.“ Dies zeigt, dass der Beginn des Monats an die sichtbare Wahrnehmung und nicht an eine theoretische Berechnung geknüpft ist.

b) Der Sinn der Scharia liegt nicht in technischer Perfektion, sondern in universeller Anwendbarkeit

Die islamische Gesetzgebung ist allgemeingültig und berücksichtigt alle Menschen, unabhängig von deren wissenschaftlichen oder technischen Kenntnissen. Würden astronomische Berechnungen als einziges Kriterium genutzt, wären Millionen von Muslimen auf der Welt von einer Methode abhängig, die sie nicht verstehen oder selbst überprüfen können. Die Mondsichtung hingegen ist eine einfache, natürliche und universell zugängliche Methode, die jeder Mensch – unabhängig von seinem Bildungsstand – nachvollziehen kann.

c) Die islamische Praxis folgt einem spirituellen, nicht nur einem wissenschaftlichen Ansatz

Das Fasten im Ramadan und die Festlegung der Mondmonate sind nicht nur mathematische Angelegenheiten, sondern Teil eines spirituellen Systems, das auf göttlicher Weisheit basiert. Das Schauen nach dem Mond ist ein sichtbarer Ritus (ʿIbāda), der die Verbindung zwischen Muslimen und dem Himmel symbolisiert. Die Scharia hat sich bewusst nicht für eine abstrakte, intellektuelle Methode entschieden, sondern für eine zugängliche, natürliche und gemeinschaftlich erfahrbare Praxis.

4 Verpflichtende Berücksichtigung der astronomischen Berechnung zur Negierung, aber nicht zur Bestätigung

Nach dieser Auffassung ist die astronomische Berechnung nur im Fall der Negierung (Nafī) maßgeblich, nicht für die Bestätigung (Ithbāt). Das bedeutet:

  • Bei Negierung: Wenn die Berechnung eindeutig ergibt, dass eine Sichtung unmöglich ist, wird jede Zeugenaussage über das Gegenteil verworfen.
  • Bei Bestätigung: Die Berechnung darf als Hilfsmittel beim Beobachten herangezogen werden. Falls der Mond rechnerisch vorhanden ist, aber tatsächlich nicht gesichtet wird, bleibt es bei der Regel:

Keine Sichtung, kein Beginn des Ramadans.

Diese Meinung wurde von einigen frühen Gelehrten vertreten, darunter aus der schāfiʿitischen Rechtsschule Taqī ad-Dīn as-Subkī. Unter den modernen Gelehrten äußerten sich ähnlich Aḥmad al-Qāḍī, Muḥammad ibn ʿUṯaimīn und andere.[39]

As-Subkī sagte:

„Wenn der rechnerische Beweis ergibt, dass eine Mondsichtung unmöglich ist, dann muss der Qāḍī dieses Zeugnis ablehnen. Denn der Ḥisāb ist gewiss (qaṭʿī), während Zeugenaussagen nur mutmaßlich (ẓannī) sind. Ein Mutmaßliches steht nicht über dem Gewissen. … Wenn zwei Zeugen behaupten, den Mond bei klarem Himmel gesehen zu haben, es jedoch weder von anderen beobachtet wurde noch der Mond am darauffolgenden Abend erscheint, dann deutet das auf eine Falschaussage hin.“[40]

Ibn ʿUṯaimīn wurde gefragt, ob man astronomische Daten bei der Bestimmung des Monatsbeginns berücksichtigen dürfe. Er antwortete:

„Wir sind der Meinung, dass man sie beim Negieren berücksichtigen soll, nicht beim Bestätigen. Das heißt: Wenn jemand behauptet, den Mond gesehen zu haben, die Astronomie aber eindeutig zeigt, dass eine Sichtung unmöglich ist, dann gehen wir von keinem neuen Monat aus. Wenn die Astronomie dagegen sagt, ‚der Mond ist geboren‘, aber niemand sieht ihn tatsächlich, verlassen wir uns nicht auf die Berechnung, sondern folgen dem Sichtungsprinzip.“[41]

Al-Muṭīʿī kommentierte, dass es dem Vorgehen der Scharia entspricht, bei spezialisierten Themen Fachleute hinzuzuziehen. Er argumentierte:

„So wie man bei Fragen der Sprache Linguisten konsultiert oder bei Krankheiten Ärzte, warum sollte man dann nicht auch bei der Feststellung des Mondes Astronomen hinzuziehen? Zumal sie sich auf ein klares Wissen stützen und Irrtümer in der Praxis nachweisen können.“[42]

Die Belege dieser Richtung sind im Wesentlichen dieselben wie bei der ersten Richtung, die an der Sichtung (Ruʾya) festhält. Der Unterschied liegt jedoch in der selektiven Anwendung dieser Beweise:

  • Für die Negierung: Wenn die astronomische Berechnung eindeutig ergibt, dass eine Sichtung unmöglich ist, wird das Zeugnis über eine angebliche Sichtung zurückgewiesen.
  • Für die Bestätigung: Wenn die Berechnung ergibt, dass der Mond geboren ist, aber keine tatsächliche Sichtung erfolgt, bleibt es dennoch bei der Regel der Sichtung – das heißt, der neue Monat beginnt nicht allein auf Basis der Berechnung.

Diese Ansicht versucht, die Verlässlichkeit moderner astronomischer Methoden zu nutzen, ohne jedoch die grundlegende Scharia-Vorgabe der Mondsichtung außer Kraft zu setzen.

Zusatz: Fatwa von Šaiḫ al-Albānī über das Befolgen eines Staates, der sich bei der Ankündigung von Šawwāl auf astronomische Berechnungen stützt[43]

“Du sollst mit den Menschen des Landes fasten, in dem du lebst. Wenn die Bewohner des Landes fasten, dann faste mit ihnen, und wenn sie ihr Fasten brechen, dann brich dein Fasten mit ihnen … Solange es den islamischen Völkern nicht möglich ist, sich im Fasten und im Fastenbrechen zu vereinen – aufgrund des Unterschieds zwischen den Regierungen –, sollte jede Nation oder jedes Volk nach der Sichtung ihres eigenen Hilāl fasten. Doch dass sich die Menschen innerhalb eines einzigen Landes in zwei Gruppen spalten, ist nicht hinnehmbar. Es genügt uns bereits, dass wir uns in Kleinstaaten aufgespalten haben – was bleibt uns dann noch, wenn wir auch noch jedes Land in zwei Gruppen teilen?! Doch leider ist dies die Realität: Manche fasten mit Saudi-Arabien, andere mit Syrien und so weiter!

Das sollte nicht der Fall sein. Wie wir bereits zuvor in einigen Antworten gesagt haben: Wenn ein Muslim zwischen zwei Übeln steht, wählt er das geringere. Dass die Menschen eines Landes allein fasten, ist besser, als dass sie sich untereinander spalten … Die Bewohner eines Landes können sich darauf einigen, dass, wenn der Staat das Fasten für einen bestimmten Tag ankündigt, das ganze Volk gemeinsam fastet, auch wenn diese Verkündung nicht islamisch korrekt ist – das heißt, nicht nach Scharia-Maßstäben bestätigt wurde. Denn die Angelegenheit liegt in den Händen des Staates und nicht in den Händen eines Einzelnen, genauso wie die rechtlichen Strafen (ḥudūd aš-šarʿiyya) – wenn sie von Einzelpersonen vollstreckt würden, würde dies zu Chaos auf Land und Wasser führen.

Daher muss das Fasten in einem Land einheitlich sein: Die Menschen fasten gemeinsam und brechen ihr Fasten gemeinsam. Es ist nicht erlaubt, dass sie sich in dieser Angelegenheit aufspalten … selbst wenn der Staat das Fasten oder das Fastenbrechen auf eine nicht islamische Weise bestimmt. Das Volk kann sich dem Staat nicht widersetzen, denn dadurch entstünde ein noch größeres Übel. Damit meinen wir nicht, dass die Orientierung an astronomischen Berechnungen islamisch legitim ist – nein, das ist sie nicht. Doch wie es heißt: „Manchmal ist das geringere Übel die bessere Wahl.“ Das ist unser Punkt. Abgesehen davon hat die astronomische Berechnung keinen Wert.“

Fazit

Die Bestimmung des Monatsbeginns basiert in der Scharia auf der Mondsichtung, wie es in der authentischen Überlieferung des Propheten heißt: „Fastet, wenn ihr ihn seht …“ Gleichzeitig ermöglichen moderne astronomische Berechnungen eine genauere Einschätzung, ob eine Sichtung überhaupt möglich ist. Falls Berechnungen eindeutig belegen, dass der Mond physisch noch nicht geboren wurde, kann eine behauptete Sichtung als ungültig betrachtet werden.

Die Astronomie hilft dabei, Fehlversuche zu vermeiden und Zeugen vor Irrtümern zu schützen, ohne die religiöse Praxis der Sichtung zu ersetzen. Unterschiedliche Festlegungen der Mondmonate führen immer wieder zu Uneinigkeit, weshalb eine gewisse Harmonisierung im Sinne des allgemeinen Wohls (Maṣlaḥa) der Muslime wünschenswert ist. Astronomische Berechnungen können dabei als Hilfsmittel dienen, doch die islamische Gesetzgebung bleibt für alle Menschen verständlich und praktikabel.

 

[1] Siehe: Badāʾiʿ aṣ-ṣanāʾiʿ (2/76), Bidāyat al-mudschtahid (1/273), al-Maǧmūʿ (6/251), al-Furūʿ (4/418).

[2] Abu Dawud, Nr. 2342.

[3] Abu Dawud, Nr. 2340.

[4] Sahih al-Bukhari, Nr. 617.

[5] Sahih al-Bukhari, Nr. 1909 und Sahih Muslim, Nr. 1081.

[6] Siehe: Badāʾiʿ aṣ-ṣanāʾiʿ (2/80), Mawāhib al-ǧalīl (2/281), al-Maǧmūʿ (1/279), al-Furūʿ (4/418).

[7] Ibn Uthaimin, aš-Šarḥ al-mumtiʿ (6/212).

[8] Sahih al-Bukhari, Nr. 1907.

[9] Siehe: Fath ul-Bari, Bd. 6, S. 23; al-Magmuʿ

[10] Sahih al-Bukhari, Nr. 1910 und Sahih Muslim, Nr. 1081.

[11] Sahih Muslim, Nr. 1080.

[12] Sahih Muslim, Nr. 1082.

[13] Sahih Muslim, Nr. 1081.

[14] Siehe al-Maǧmūʿ (6/271).

[15] Badāʾiʿ aṣ-ṣanāʾiʿ (2/82), Mawāhib al-ǧalīl (2/287), al-Maǧmūʿ (6/271), Šarḥ Muntahā l-irādāt (2/299).

[16] Sahih al-Bukhari, Nr. 1914.

[17] Al-Ǧuġrāfiyā al-falakiyya, al-ʿAqqād, S. 150; Dalīl al-Muslim al-falakī, Mudschāhid, S. 79.

[18] Tārīḫ al-ʿulūm ʿinda l-ʿarab, Farrūḫ, S. 185; ʿAẓamat Bābil, S. 525.

[19] Ṭabaqāt al-umam, S. 54; Makānat al-falak wa-t-tanjīm, ʿAbd al-Amīr, S. 181; at-Turāṯ al-falakī, ʿAbd al-Amīr, S. 120; al-Mufaṣṣal fī tārīḫ al-ʿarab qabl al-Islām, (8/445); Taʾrīḫ al-ʿulūm ʿinda l-ʿarab, Farrūḫ, S. 185.

[20] Ṭabaqāt al-umam, S. 54

[21] Makānat al-falak wa-t-tanjīm, ʿAbd al-Amīr, S. 181; at-Turāṯ al-falakī, ʿAbd al-Amīr, S. 120; al-Mufaṣṣal fī tārīḫ al-ʿarab qabl al-Islām, (8/445); Taʾrīḫ al-ʿulūm ʿinda l-ʿarab, Farrūḫ, S. 185.

[22] Siehe Iṯbāt aš-šuḥūr al-hilāliyya, Sammelwerk mehrerer Autoren, S. 129.

[23] Dalīl al-Muslim al-falakī, Mudschāhid, S. 76.

[24] Dies ist die bekannte Meinung unter den vier Imamen. Siehe: Ḥāšiyat Ibn ʿĀbidīn (2/387), Bidāyat al-Muǧtahid (2/557), al-Magmūʿ (6/271), Fatḥ al-Bārī (4/127) und Ibn Taimiyya: Maǧmūʿ al-Fatāwā (5/132). Unter den zeitgenössischen Gelehrten: Muḥammad b. Ibrāhīm und Ṣāliḥ al-Luaīdān – siehe: Abḥāṯ Haiʾat Kibār al-ʿUlamāʾ (3/33).

[25] Fatḥ al-bārī, (4/127)

[26] Warum die Uneinigkeit über die astronomische Berechnung? az-Zarqāʾ, S. 8; al-Ḥisāb al-falakī, al-Qaraḍāwī, S. 7.

[27] Hāšiya Ibn ʿĀbidīn, (2/387); Bidāyat al-mudschtahid, (2/557;) al-Muntaqā, al-Bāǧī, (2/28).

[28] Al-Istidhkar, (10/18); Fatawa Ibn as-Subki, (1/5); Fath al-Bari, (3/157).

[29] Fath al-Bari, (4/119).

[30] Buṭlan al-Amal bi l-hisab, Dasuqi, S. 7.

[31] Von den großen Tābiʿūn wird diese Ansicht vertreten. Beispiele hierfür sind Ibn Qutayba, Ibn Suraiǧ, al-Faqqāl, aṭ-Ṭabarī und al-Qušairī. Ihre Meinung wurde von Ibn ʿAbd al-Barr in al-Istidhkār (10/188) und von Ibn Ḥaǧar in Fatḥ al-Bārī (3/157) überliefert. Auch Abū Ḫaṭṭāb al-Mālikī erwähnte diese Position in seinem Werk Mawāhib al-Ǧalīl (6/76). In der modernen Zeit äußerten sich Ṭanṭāwī Ǧawharī in seiner Abhandlung al-Hilāl, S. 110; Aḥmad Šākir in Awaʾil aš-šuhūr al-ʿarabiyya, az-Zarqāʾ in Limāḏā al-iḫtilāf fī al-ḥisāb al-falakī? S. 7-16 und al-Qaraḍāwī in al-Ḥisāb al-falakī wa-iṯbāt awaʾil aš-šuhūr, S. 7-11 zu dieser Thematik.

[32] Al-Baghawi, (7/442); at-Tabari, (15/23).

[33] Fath al-Bari, (3/157); al-Istidhkar (3/278).

[34] Awail ash-Shuhur al-Arabiyya, S. 16.

[35] al-Qaraḍāwī in al-Ḥisāb al-falakī wa-iṯbāt awaʾil aš-šuhūr, S. 28.

[36] Hashiyat al-Qailubi, (2/49).

[37] Bakr Abu Zaid, Fiqh an-Nawazil, (2/156).

[38] Taḥdīd aṣ-ṣiyām falakiyyan, Wahba, S. 25 u. 35; Ruʾyat al-hilāl baina š-šarʿiyya wa-l-falakiyya, S. 27; al-Maǧmūʿ, (9/270).

[39] Taḥdīd aṣ-ṣiyām falakiyyan, Wahba, S. 37; Fiqh an-nawāzil, (2/174).

[40] Fatawa as-Subki, (1/209).

[41] Thamarat at-Tadwin min masail Ibn Uthaimin, Nr. 251.

[42] Irshad ahl al-Millah, S. 34.

[43] Band 403 (Minute 44) der Reihe „al-Hudā wa-n-Nūr“.

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