Die Riten der Pilgerfahrt (Haddsch): Ein spiritueller Weg zur Nähe Gottes
Einleitung
Die Pilgerfahrt (Haddsch) gehört zu den fünf Säulen des Islam und stellt einen Höhepunkt im religiösen Leben eines gläubigen Muslims dar. Jedes Jahr reisen Millionen von Muslimen aus aller Welt nach Mekka, um diesen heiligen Ritus zu vollziehen. Die Haddsch ist mehr als eine äußere Handlung – sie ist ein Akt des Herzens und des Gehorsams gegenüber dem Schöpfer. In diesem Artikel werfen wir einen ausführlichen Blick auf die Formen und Abläufe der Haddsch sowie auf die spirituelle Bedeutung ihrer einzelnen Stationen.
Formen der Pilgerfahrt (Haddsch)
Muslime, die die Haddsch unternehmen, können zwischen drei verschiedenen Formen wählen. Diese unterscheiden sich in ihrer rituellen Ausführung und Reihenfolge der Handlungen:
1. Ifrād:
Beim Ifrād führt der Pilger ausschließlich die Haddsch aus, ohne die Umrah (kleine Pilgerfahrt) davor oder danach zu vollziehen.
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Der Weihezustand (Ihrām) wird allein für die Haddsch angenommen
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Diese Form ist besonders unter Pilgern aus Mekka und der näheren Umgebung verbreitet.
2. Haddsch Tamattuʿ:
Der Tamattuʿ beginnt mit der Umrah während der Monate der Pilgerzeit, gefolgt von der Haddsch im selben Jahr.
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Nach der Umrah wird der Weihezustand beendet.
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Am 8. Tag des Pilgermonats Dhū l-Ḥiddscha nimmt der Pilger den Ihrām erneut für die Haddsch auf.
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Diese Form ist besonders bei ausländischen Pilgern beliebt, da sie als erleichtert gilt.
3. Verbindende Haddsch (Qirān)
Beim Qirān werden Umrah und Haddsch in einem einzigen, durchgehenden Weihezustand durchgeführt.
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Der Pilger betritt den Ihrām mit der Absicht, beide Rituale miteinander zu verbinden.
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Umrah und Haddsch werden nacheinander, ohne Unterbrechung des Weihezustands, vollzogen.
Der Eintritt in den Weihezustand (Ihrām)
Die Pilgerfahrt beginnt mit dem sogenannten Ihrām, dem Eintritt in den Weihezustand. Dies geschieht an bestimmten Punkten außerhalb Mekkas, den sogenannten Miqāt. Männer legen dazu zwei einfache weiße Tücher an – eines um die Hüfte und eines über die Schulter –, während Frauen ihre gewöhnliche, jedoch schlichte Kleidung tragen. Der Pilger spricht die sogenannte Talbiya: „Labbaika Allāhumma“, was bedeutet: „Ich bin Dir zu Diensten, o Allah.“ Dabei nennt er die Art der Pilgerfahrt, die er gewählt hat. Wer unsicher ist, ob er die Pilgerfahrt vollenden kann – etwa wegen Krankheit oder anderer Hinderungsgründe – kann dies durch eine spezielle Bedingung im Ihrām erwähnen, um sich im Notfall von den Verpflichtungen befreien zu können.
Ablauf der Umrah (im Fall des Tamattuʿ-Haddsch)
Wer sich für die Tamattuʿ-Haddsch entscheidet, beginnt seine Reise mit der Umrah. In Mekka angekommen, führt er zunächst den sogenannten Tawāf durch – sieben rituelle Umkreisungen der Kaaba. Danach folgt das Gebet hinter dem Maqām Ibrāhīm, gefolgt vom Saʿī – dem siebenmaligen Gehen zwischen den beiden Hügeln Safā und Marwa. Dieser Ritus erinnert an die verzweifelte Suche von Hādschar, der Mutter Ismāʿīls, nach Wasser für ihr Kind. Männer laufen dabei zwischen den markierten grünen Lichtern mit erhöhter Geschwindigkeit, Frauen gehen in normalem Tempo. Zum Abschluss schneidet der Mann sich die Haare oder rasiert sie ganz ab – wobei das Rasieren besser ist. Frauen hingegen kürzen ein wenig das Ende ihrer Haare. Danach verlässt der Pilger den Weihezustand bis zum Beginn der eigentlichen Haddsch.
Der Beginn der Haddsch: Tag für Tag
Am achten Tag des Pilgermonats (Dhul-Hiddscha) beginnt offiziell die Haddsch. Der Pilger begibt sich nach Minā, wo er den Tag mit Gebeten verbringt und übernachtet. Am neunten Tag – dem bedeutendsten Tag der Pilgerfahrt – zieht die gesamte Pilgermenge weiter nach ʿArafāt. Dort verbringt man den Tag in Andacht, Bittgebeten und der Erinnerung an die Einheit Allahs. Dieser Tag ist der Höhepunkt der Haddsch, denn der Prophet Muhammad (Frieden sei mit ihm) sagte: „Die Haddsch ist ʿArafah.“ Am Abend zieht die Menge weiter nach Muzdalifah, wo sie die Nacht verbringt und Steine für das Rāmī (Steinwurf-Ritual) sammelt.
Am zehnten Tag – dem Festtag (ʿĪd al-Adhā) – wirft der Pilger sieben Steine auf die größte der drei Säulen in Minā. Dies erinnert an die Zurückweisung Satans durch Ibrahim, Friede sei mit ihm. Danach wird das Opfertier geschlachtet, sofern der Pilger dazu verpflichtet ist (bei Tamattuʿ und Qirān-Haddsch). Männer rasieren oder kürzen ihr Haar erneut, Frauen kürzen es leicht. Es folgt der sogenannte Tawāf al-Ifādah – eine weitere rituelle Umkreisung der Kaaba, die zu den Hauptpflichten gehört. Dieser Tawāf muss jedoch nicht zwingend am selben Tag vollzogen werden, sondern kann auch an einem der darauf folgenden Tage erfolgen, solange er innerhalb der Pilgertage (Ayyām at-Taschrīq) abgeschlossen wird. Danach schließt sich ein erneuter Saʿī.
Die Tage in Minā und der Rāmī-Ritus
An den folgenden Tagen – dem elften, zwölften und gegebenenfalls dem dreizehnten Tag – bleibt der Pilger in Minā. An jedem Nachmittag werden die drei Säulen (Dschamarāt) mit je sieben Steinen beworfen, stets in der festgelegten Reihenfolge: erst die kleine, dann die mittlere und zuletzt die große. Nach dem Wurf verweilt man zum Gebet und der Bitte an Gott – außer bei der großen Dschamara, bei der kein weiteres Gebet folgt. Der Rāmī darf nicht vor der Mittagszeit beginnen, kann aber bis zum Abend durchgeführt werden.
Wer sich entscheidet, die Pilgerfahrt am zwölften Tag zu beenden, muss Minā vor Sonnenuntergang verlassen. Wer bis zum dreizehnten Tag bleibt, wiederholt das Rāmī nochmals in gleicher Weise.
Der Abschluss: Tawāf al-Wadāʿ
Bevor der Pilger Mekka verlässt, führt er den Abschiedstawāf (Tawāf al-Wadāʿ) durch – sieben weitere Umkreisungen der Kaaba, als Zeichen des letzten Abschieds von diesem heiligen Ort. Nur menstruierende Frauen und Wöchnerinnen sind davon ausgenommen. Dieser Tawāf bildet den feierlichen Abschluss einer Reise voller Rituale, Hingabe und innerer Einkehr.
Fazit
Die Hadsch ist nicht nur eine körperliche Pilgerreise, sondern eine tiefgreifende spirituelle Erfahrung, die das Herz reinigt und den Gläubigen Allah näher bringt. Jeder Schritt, jede Station erinnert an das Leben der Propheten und an die Ergebenheit gegenüber dem Schöpfer. Wer diese Anbetung mit aufrichtigem Herzen und entsprechend der Sunna unternimmt, kehrt zurück – gereinigt von seinen Sünden, gestärkt im Glauben und verbunden mit der Umma, der weltweiten Gemeinschaft der Muslime. Möge Gott allen, die sich auf diesen Weg machen, eine angenommene und gesegnete Hadsch schenken.